Donnerstag, 23. Mai 2013

Erin Hart - Die Frau im Moor

ACHTUNG, DIE FOLGENDE REZENSION ENTHÄLZ SPOILER!!!
Ein exqusiter Mix aus Crime, Sex und Lokalgeschehen machen den Roman, der in Irland, genauer im County Galway an der Westküste spielt, zu einem Text,
der einmal angefangen, schwer wieder aus den Händen zu legen ist. Er wird wohl meist Nachts oder Sonntags von LeserInnen verschlungen, ev. mit einem gelegentlichen Gang zum Kühlschrank oder Klo unterbrochen.

So sprach der amazon-Kritiker. Wow, dachte ich, das klingt doch mal echt spannend - ein echter Thriller, der was hermacht auf dem Nachtkästchen. Also habe ich das Buch doch noch gelesen, nachdem ich es fast zwei Monate lang auf dem Bibliotheksstapel abgelegt hatte und irgendwie doch nicht ranwollte.
Um es kurz zu machen: der Gang zum Kühlschrank war das Highlight bei der Lektüre...

  Hart führt uns
nahe an die Figuren heran, so dass wir aus nächster Nähe miterleben, wie
sich der frisch gestochene Torf anfühlt, wie er riecht fast......
 
Äh... ja ... nahe heranführen ... damit muss gemeint sein, dass Frau Hart es schafft, jedem unebdeutetenden Detail noch mindestens zwei Seiten im Buch Platz verschaffen zu wollen. Oder dieses grausame Hin und Her "oh, er hat mich angefasst ... huch, sie hat mir in die Augen gesehen ... ups, er hat gelächelt"-Getue, das wohl die tiefe Liebe der Hauptpersonen darstellen möchte, mich aber letzten Ende nur noch genervt hat und meinen Mann nachhaltig irritierte, als er plötzlich vom Sofa den Satz "Dann fick sie doch endlich" hören musste.

Mit viel Wissen um
die Irische Kultur ausgestattet, zeigt uns Erin Hart das ländlich-beschauliche Leben der DorfbewohnerInnen, nicht ohne das obligate „Big House" zu vergessen, das in Irland zur Landschaft gehört und das sie mit viel Gefühl in einen aktuellen Kontext setzt zu den Geschehnissen im Roman.


Und wie. Da wird gefidelt und gedudelsackt, getrötet und geblasen, was das Zeug hört. Man meint beim Lesen gradezu, dass gleich die Tür aufgeht und die gesamte "Lord of the Dance"-Truppe reinhüpft. Bloß bringt das nicht sonderlich viel Spannung in die schon so oder so dröge Story.

  Meisterhaft verwebt
sie die Vorkommnisse zu einem gekonnten Ablauf, so dass man kaum das Buch aus der Hand legen kann, ohne wenigstens den Abschnitt fertig gelesen zu haben.
 
Och, doch, das schafft man ganz gut. Speziell dann, wenn sich in der Geschichte mal wieder so gar nichts tun will und doch wieder nur drei Seiten lang irische Lieder rezitiert werden oder der nächste Typ seine Fidel oder wahlweise seine Flöte auspackt ...

 
Erin Harts Erstling: „Die Frau im Moor" darf als gelungen betrachtet werden. Zum Schluss geht die Fabulierlust etwas mit ihr durch, was dem Roman jedoch keinen Abbruch tut, weil wir damit schon fast am Ende sind.
 
Das Wort "fast" ist hier entscheidend. Eigentlich wollte Frau Hart einen Krimi schreiben über eine verschwundene Fau und ihren verschwundenen Sohn. Dass der Leser schon nach etwa vierzig Seiten ziemlich genau weiß, wer der Täter ist, könnte daran liegen, dass nur folgende Personen in Frage kommen:
1) der mysteriöse, einsiedlerische Nachbar, der den ganzen Roman über nur zehn Sätze spricht
2) die Cousine des Hausherren, deren Motiv bereits auf Seite vierzig deutlich geschildert wird, die sich den gesamten Roman über "unverdächtig verdächtig" benehmen darf (plötzliches Auftreten aus dem Hintergrund, seltsames Benehmen, willkürliche Lügen) samt ihrem alkoholabhängigen minderjährigen Filius, über deren Köpfen gadezu mit Leuchtschrift die Worte "Sie waren's, sie waren's" blinken

Na, wer ist es wohl?

Der Mörder ist also schnell enttarnt, aber vierzig Seiten machen noch keinen Krimi aus, dachte sich Frau Hart vermutlich. Also musste noch was anderes in den Roman. Dieses "andere" ist der Kopf einer Moorleiche, die von einem Archäologen und einer amerikansichen Pathologin (die als Spezialgebiet "Moorleichen" hat, was entweder darauf schließen lässt, dass die Autorin selbst nicht so richtig den unterschied zwischen Pathologie und Rechtsmedizin kennt, oder einfach was anderes als Archäologie reinpacken wollte) untersucht wird. Die Amerikanerin hat eine Vielzahl persönlicher Probleme, von denen "Hilfe, mein Schwager hat ganz bestimmt meine Schwester umgebracht, ich kann es zwar nicht beweisen und niemand glaubt es, aber es ist ganz bestimmt so" das für den Fall relevanteste ist. Deshalb hat sie sich auch in den Kopf gesetzt, der Moorleiche eine Geschichte zu verpassen - und da kommen wir zum langweiligen Exkurs in die irische Geschichte, der immer mal dazwischengepackt wird, wenn der alkoholkranke Filius und seine Mommy sich nicht grade unverdächtig benehmen oder der ermittelnde Detective auf seiner Fidel spielt. Es ist ermüdend, wie versucht wird, eine relativ unspektaktuläre Moorleiche zur "Liebessensation" zu stilisieren, denn natürlich wurde die Frau wegen Kindsmords enthauptet, aber in Wirklichkeit - das die Fabulierlust, von der der begeisterte amazon-Kritiker spricht - war es ja gar nicht ihr Kind, nein, das wurde von einem bösen Pfarrer im Kindsbett vertauscht, damit die Mutter des einzigen Erben des Landsitzes in ihren letzten Stunden das Gefühl erhält, ein gesundes Kind geboren zu haben, und deshalb ist der heutige Erbe dieses Hauses nicht etwa ein Nachfahre des bösen englischen Unterdrückers, sondern in Wahrheit direkter Nachfahre des irischen Freiheitskämpfers, der seinen Kampf mit Deportation und Tod (und, wen wundert's, einem eigenen fidelen Liedchen) bezahlt hat *schwülstige irische musik vor grüner landschaft einspiel* Wahnsinn. Und Schwachsinn, der bereits wieder in die Bibliothek zurückgewandert ist

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