Sonntag, 30. September 2012

Max Bentow - Die Puppenmacherin

Als der Berliner Kriminalkommisar Nils Trojan am Tatort ankommt, bietet sich ihm ein Anblick, den er nicht so schnell vergessen wird: eine junge Frau wurde in Bauschaum förmlich erstickt. Bei den Ermittlungen stößt Trojan auf einen Parallelfall, der sich einige Jahre zuvor ereignet hat. Damals wurde die Puppenmacherin Josephin Maurer in einem Keller gefangen gehalten und gerade noch entdeckt, bevor der Täter auch sie in Bauschaum einschließen konnte. Doch der Täter ist tot – gibt es einen Trittbrettfahrer?
Das ist der zweite Band der Reihe um Nils Trojan, wobei man den ersten Band auch getrost nicht gelesen haben muss, um den zweiten zu verstehen. Was gibt es jetzt dazu zu sagen? Joah, es ist okay. Es ist schon ziemlich spannend, die Morde sind skurril genug, um mich bei der Stange zu halten – aber leider krankt das Buch für mich zumindest an einem: die Auflösung finde ich komplett an den Haaren herbeigezogen. Dass Kommissar Zufall bei der Enttarnung hilft (mit einem relativ seltsamen Erklärungsansatz), ist dabei noch zu verschmerzen, aber die gesamte Idee um Motiv und Täter an sich ist in meinen Augen viel zu konstruiert, um glaubwürdig zu erscheinen. Bis das aber interessant wird, unterhält das Buch durchaus, denn Max Bentow hat ein Händchen für Ideen – unvergesslich die Szene, in der eine alte Dame im Altersheim besucht wird und mit der Klischee-Oma ziemlich aufgeräumt wird. Auch Josephin ist eine interessante Figur und die Beziehung zwischen Trojan und der Psychologin wird nett herausgearbeitet. Sprachlich ist ebenfalls nichts auszusetzen, aber wie gesagt, die Auflösung ist ziemlich daneben gegangen. Es ist okay, aber man muss es nicht um jeden Preis gelesen haben.

Karin Slaughter - Dreh dich nicht um

Ich habe überlegt, ob das Buch einen Cody wert ist oder nicht – aber so schlecht ist es dann doch nicht. Aber der Reihe nach.
Sarah Linton wird direkt vom Shoppingtrip mit ihrer schwangeren Schwester zu einem Tatort gerufen. Am Fuß einer Brücke liegen die Überreste eines Studenten und obwohl alles nach Selbstmord aussieht, bleibt bei Sara ein ungutes Gefühl zurück. Als dann ihre Schwester am Tatort angegriffen und schwer verletzt wird und sich weitere Selbstmorde auf dem Campus ereignen, ermittelt Saras Ex-Mann – und stolpert über ein großes Problem: könnte der neue Freund von Polizistin Lena, die mittlerweile als Sicherheitsbeauftragte auf dem Campus arbeitet, hinter den Morden stecken?
Okay, ich gestehe, dass ich die Bücher von Karin Slaughter noch nie unter der Voraussetzung gelesen habe, erschreckend realistische Schilderungen serviert zu bekommen. Die Fälle sind meist so an den Haaren herbeigezogen, dass ich sie noch schreien hören kann, aber zumindest unterhaltsam präsentiert und spannend erzählt. Aber „Dreh dich nicht um“ ist einfach echt nicht mein Fall. Das liegt vor allem daran, dass die Figuren meiner Meinung nach allesamt ein so großes Päckchen mit sich herumschleppen, dass sie nicht einmal mehr als kaputte Existenzen funktionieren. Da nehmen wir mal Lena, die in der gesamten Serie die Rolle des Daueropfers zugeschrieben bekommt: sie wurde im Laufe der Zeit bereits vergewaltigt und gefoltert, nicht nur einmal, sondern gleich einmal pro Buch. Inzwischen säuft sie und ist auf Dauermedikamenten, aber irgendwie dennoch noch nicht reif für die Klapsmühle, sondern gleich bereit für die nächste Opferrolle. Psychologisch nett – aber ich muss gestehen, mich nervt sie nur noch. Ebenso die Familie Linton, wie ich sie nenne „die glücklichen Installateure“, die so klischeehafte Abziehbilder der „all American family“ sind. Und natürlich Sarah und ihr Ex, die alte „sie küssten und sie schlugen sich“-Masche, hundertmal gelesen, hundertmal gedacht „es hat bereits einmal nicht funktioniert, es wird auch diesmal nichts werden mit euch“. Im betreffenden Fall wird das auch noch zusätzlich angeheizt mit Neonazis und prügelnden Ehemännern, wobei beides für mich ziemlich aufgesetzt wirkt. Nein, zufrieden bin ich mit diesem Buch absolut nicht.
Warum das Buch dennoch nicht die schlechteste Bewertung bekommt? Weil man trotz allem wissen will, wer es jetzt ist. Weil man wissen will, welches Motiv jetzt tatsächlich dahinter steckt und wer sich am Ende als Mörder entpuppt. Und weil dieser entpuppte Mörder dann doch die interessanteste Figur im ganzen Buch ist, im Nachhinein betrachtet. Das entschädigt nicht unbedingt für den Rest, macht das Buch aber dann doch zu einem annehmbaren Pageturner.

Robert C.O'Brien - Frau Frisby und die Ratten von NIMH

Frau Frisby ist eine sympathische Feldmaus, die mit ihren Kindern in einem hübschen Mauseloch unweit des Bauernhofs lebt. Der Umzug ins Sommerloch steht kurz bevor, als ihr kleiner Sohn Timmy schwer erkrankt. Das ist ein Problem, denn der Bauer wird in Kürze den Pflug anwerfen und damit auch das Mauseloch umpflügen. Timmy muss also am besten mitsamt seinem Zimmer umgesiedelt werden, und deshalb bittet Frau Frisby die Ratten aus der Nachbarschaft um Hilfe. Die sind nicht einfach nur intelligent, sondern können lesen und verfügen über Strom – ein fehlgeleitetes Experiment über Lerntheorie. Aber die Ratten verfolgen gerade ganz eigene Pläne und Utopien …
Hmmm, ich weiß nicht. Ich habe das Buch vor allem deshalb gelesen, weil „Frau Frisby und die Ratten von NIMH“ einer von zwei Zeichentrickfilmen waren, die ich als Kind nie zu Ende sehen konnte, weil sie so gruselig waren (der andere war „Ico das Wildpferd“ und falls den einer von euch kennt, sagt Bescheid  ) Jetzt wollte ich aber doch mal wissen, wie es ausgeht und habe es deswegen kurzerhand aus dem Stapel einzusortierender Bücher in der Bibliothek mitgenommen. Aber ähnlich wie bei „Watership Down“, das ich erst kürzlich gelesen habe, habe ich auch hier das Gefühl, dass ich einfach nicht mehr zur Zielgruppe des Buches gehöre. Ich finde es viel zu flach und eindimensional, um mich zu fesseln, aber das ist bei Kindern mit Sicherheit anders. Was mich aber viel mehr gestört hat, war dieses Betuliche, dass sich durch das ganze Buch zieht. Frau Frisby und die anderen sind nicht einfach nur sprechende Tiere, sondern sie sind quasi vollständige Menschen nur mit Fell. Anders als z.B. bei „Animal Farm“, wo die Tiere trotz allem Tiere bleiben, vermenschlicht dieses Buch sämtliche Handlungsweisen. Das ist mit Sicherheit putzig und niedlich, für mich war es aber vor allem nervtötend, weil so ziemlich jedes Klischee bedient wird. Wer glaubt, dass die Kaninchen-Sekte in „Watership Down“ seltsam und übertrieben war, der soll erstmal die Ratten von NIMH mit ihren kleinen Schraubenziehern erleben! Die Geschichte ist mir zu schnuffig und glatt, die Tiere zu menschlich und auch beim Schreibstil gibt es meiner Meinung nach bessere Kinderbücher. Schade eigentlich …

Petra Hammesfahr - Erinnerung an einen Mörder

Felix ist acht Jahre alt, als seine Kindheit eine schauerliche Unterbrechung erfährt. Schwer verletzt läuft er durch die Straßen seiner Heimatstadt, befleckt mit dem Blut seiner kleinen Schwester und seiner Mutter. Wegen Mordes und Mordversuchs wird sein Vater verurteilt und stirbt im Gefängnis – doch Felix selbst erinnert sich nicht mehr an die Tat. Erst mit 16 kommen plötzlich die Erinnerungen an seine Kindheit, die geprägt war von den Auseinandersetzungen zwischen seinen Eltern und den Strafen der Großmutter, und an die blutige Tat in ihm hoch. Im Laufe der Jahre rekonstruiert Felix für sich immer mehr den Fall und kommt zu einem einfachen Schluss: sein Vater war nicht der Mörder. Aber wer dann?
Den Titel „Meisterin des Psychothrillers“ fand ich für Petra Hammesfahr noch nie wirklich geeignet. Sie schreibt eigentlich keine Psychothriller, denn der Thrill ist den Büchern kaum zu Hause, sondern psychologisch interessante Romane, die zumeist an Krimiplots gekoppelt sind. Das ist sehr nett, in vielen Fällen wirklich gut zu lesen und ich freue mich, wenn mir mal ein Krimi von ihr in die Hände kommt. Bei „Erinnerung an einen Mörder“ ist sie jedoch von der Spur abgekommen. Sicher, die Geschichte liest sich flüssig und zieht mit, aber dennoch finde ich den Plot viel zu konstruiert. Dass ein kleines Kind natürlich eine Sperre einbaut in seinem Gedächtnis, verstehe ich absolut. Aber dieses allmähliche Herausbrechen und Felix naives Auffüllen der Erinnerung mit allem, was ihm angeboten wird, ist mir dann doch zuviel. Genauso wie die Nebenhandlung um Franka und die Mafia, das wird dann grob unrealistisch und passt einfach nicht mit der Familiengeschichte zusammen. Wenn sie sich auf einen Strang konzentriert hätte und innerhalb dessen verschiedene Optionen verfolgt hätte, wäre ich sehr zufrieden, aber hier wirkt es so, als hätte um jeden Preis noch etwas Kurioses reingebracht werden müssen. Ach, und wo wir schon dabei sind: die ständigen Black-Outs, die Felix hat, sind mir ebenfalls zu viel. Einmal, okay. Aber mehrfach? Und dann noch in einer solchen Intensität, dass er da gleich noch eine zweite Realität daraus konstruieren könnte? Irgendwie klappt das meiner Meinung nach nicht und dadurch verliert das Buch an Glaubwürdigkeit, ich kann in die Geschichte nicht so gut folgen, weil jedes Mal meine innere Stimme ein gedehntes „ja, klaaaaaaaar“ ausstößt. Das Buch ist bislang definitiv das Schwächste von Petra Hammesfahr, was schade ist, denn die Idee ist ja ganz nett erzählt.


Mittwoch, 26. September 2012

P.J.Tracy - Memento

Es ist endlich Winter geworden in Minneapolis und der Neuschnee wird von der Stadtverwaltung denn auch gleich genutzt: ein großes Schneemannfest im Stadtpark soll Alt und Jung erfreuen. Summ nur, dass in der einsetzenden Schneeschmelze am Nachmittag zwei Schneemänner ihr düsteres Geheimnis lüften: in ihnen eingemauert finden sich zwei Leichen. Ausgerechnet Polizisten, die auf grausame Art hingerichtet wurden. Als in einem Provinznest im tiefsten Schnee ein weiteres Schneemann gefunden wird, stoßen die beiden Detectives Leo Magozzi und Gino Rolseth auf ein düsteres Geheimnis …
Ich habe noch nie einen Krimi von P.J.Tracy gelesen, aber ich glaube, ich werde weitermachen, wenn die alle so sind. Das sind kleine tiefblutigen und psychologisch-ausgefeilten Serientäter-Studien, es sind auch keine gesellschaftsanklagenden skandinavischen Analysen, die „Memento“ bietet, sondern einfach nur eine nette und spannende Geschichte, eben wie eine ganz normale amerikanische Krimi-Serie: perfekt für 45 Minuten Abschied vom Alltag. Sympathische Ermittler (auch wenn ich die beiden immer wieder deshalb verwechselt habe, weil der eine einen italienischen Vor- und der andere den dazu passenden italienischen Nachnamen hat), ein hübscher Plot (und die Sache mit den Schneemännern ist wirklich - ich hätte nie gedacht, dieses Adjektiv in Zusammenhang mit einem krimi zu verwenden – knuffig) – ein Buch, das absolut niemandem wehtut, sondern sehr solide zusammengebaut ist und sich schön runterliest. Wieso gibt es hier keinen Facebook-Daumen? Noch nie hat „Gefällt mir“ meine Gefühle gegenüber einem Buch so gut zusammengefasst ;-)


Joe R.Lansdale - Gauklersommer

Casons Statler ist ein Veteran des ersten Irakkriegs und seitdem nicht mehr wirklich auf die Beine gekommen. Als alkoholabhängiges Wrack kehrt er, der einstmals ein vielversprechender Journalist war, in seine Heimatstadt Camp Rapture zurück und nimmt eine Stelle beim Lokalblatt an. Dort stolpert er über das mysteriöse Verschwinden einer jungen Studentin vor einem Jahr und beginnt, nachzuforschen. Wie soll es anders sein: er stößt in das typische Dreckgewühl unter dem Deckmäntelchen der Kleinstadt, was vielen nicht gefällt …
Dieses Buch ist ein bisschen anders als andere Krimis. Es lässt sich so schwer einordnen in irgendein Genre. Das Buch schildert Texas in all seiner Bigotterie, ohne dabei zur Anklageschrift zu werden; es beschreibt Grauenvolles völlig alltäglich, ohne dabei das Grauen aus den Augen zu verlieren; es spielt mit so ziemlich allen Klischees ohne dabei selbst ins Klischee abzugleiten. Lansdale ist ein sehr bissiger Mensch, der einen Humor besitzt, gegen den jeder Rabe wie ein Albino wirkt, dennoch gibt er seine Figuren nie der Lächerlichkeit preis oder führt sie vor – stattdessen hat er es geschafft, selbst einen ausgeprägten Soziopathen irgendwie nett erscheinen zu lassen, eine interessante Kunst, möchte ich mal bemerken. Wenn es ein Adjektiv gibt, das diesen Roman beschreibt, dann unzweifelhaft das Wort „cool“. Nicht die aufgesetzte Hipster-Coolness, sondern die gute, altmodische „ich brauch keine Worte“-Coolness, die man in vielen Fällen selbst gerne hätte.
Die Geschichte ist an und für sich völlig glaubwürdig, auch wenn sie in einem Hard boiled Finale gipfelt, das gradezu klassisch erscheint. Aber, und da sind wir beim einzigen Kritikpunkt, dieses Finale ist ziemlich vorhersehbar, wenn man gemerkt hat, wie die Geschichte funktioniert – das ist halt doch wieder genretypisch, nicht viel nachdenken, sondern klar die Strecke von A nach B verfolgen. Dafür einen Punkt Abzug in der B-Note, aber ansonsten eine echte Empfehlung. Wobei ich glaube, dass es doch etliche Leser gibt, die sich von diesem Buch mit Grausen abwenden würden ;-) Oh, was ich unbedingt noch erwähnen wollte: ich habe selten ein Buch mit einer hübscheren Aufmachung in der Hand gehabt. Das Titelbild ist schön gestaltet und vermittelt viel von der Buchatmosphäre, auch die Kapitelanzeigen im Buch sind eine gute Hilfe und die Schrift ist im perfekten Schriftgrad für müde Augen. Sollte man auch mal lobend erwähnen, dieser Verlag gibt sich wirklich Mühe für den Leser ;-)

Neil Gaiman - Zerbrechliche Dinge

Was ist das zerbrechlichste Ding der Welt? Die Realität. Was ist schon real – ist sie nicht eigentlich nur ein Konstrukt um uns herum? Mit „Zerbrechliche Dinge“ liegt eine Sammlung von Kurzgeschichten vor (Anmerkung meinerseits: im amerikanischen Original sind es mehr und zusätzlich noch eine stattliche Anzahl an Gedichten und Anmerkungen des Autors, ich werde es mir demnächst auch noch besorgen, nur um es zu besitzen ;-) ), die diese Realität immer wieder neu konstruiert. Interessanterweise hat der deutsche Verlag die Geschichten neu geordnet, ich weiß nicht, welche Reihenfolge sie im Original aufweisen, aber in der deutschen Ausgabe ist es dadurch gelungen, ein unsichtbares Band zwischen den Geschichten zu schlingen, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben und dennoch aufeinander aufbauen zu scheinen.
Neil Gaiman entführt seine Leser oftmals in eine Welt, die ihnen vertraut zu sein scheint und sich plötzlich als etwas ganz Anderes entpuppt. Egal, ob es eine Exkursion eines Feinschmeckerclubs ist oder ein Ausflug in einen Zirkus, man misstraut plötzlich den eigenen Sinnen. Meine Lieblingsgeschichte ist „Eine Studie in Smaragdgrün“, in der er nicht nur eine Sherlock-Holmes-Geschichte schreibt, sondern sie auf die Spitze treibt, doppelte Böden einfügt und mich als Leser jede Seite gebannt umblättern lässt, in der Erwartung, was denn nun kommen möge … Aber auch viele andere Geschichten im buch sind hervorragend, wenn man sich auf sie einlässt, selbst dann, wenn eigentlich gar nichts passiert (wer schonmal eine Geistergeschichte ganz ohne Spuk lesen wollte, die dennoch Gänsehaut entstehen lässt, ist herzlich dazu eingeladen). Das Buch war in diesem Jahr aus reinem Zufall mein hundertstes gelesenes Buch, und ich bin mehr als froh darüber. Es hat diesen Platz in aller Würde verdient – ich verneige mich in Ehrfurcht. Endlich bin ich in der Fantasy heimisch geworden ;-)

Montag, 24. September 2012

Abendidylle am Montag ;-)

Das Schuljahr hat seit zwei Wochen angefangen und ich bin plötzlich im Einsatzjahr. Das heißt für mich: Jeden Morgen sehr früh aufstehen, um den Zug zu erwischen, abends lange die Stunden vorbereiten und dazwischen noch mein restliches leben irgendwie koordinieren. Aber ich fühle mich trotz allem unglaublich frei - das Einsatzjahr ist wirklich anders, für mich sehr viel angenehmener als die Zeit an der Seminarschule, und meine Schüler sind bislang brav genug, obwohl sie es faustdick hinter den Ohren haben ;-)

Am schönsten ist aber die Tatsache, dass ich montags frei habe und die Zeit auch mal dazu nutzen kann, meine Feunde zu besuchen oder sonst irgendwas zu machen. Zum Beispiel Fotos sortieren, die auf mein Handy geraten sind - so wie dieser Schnappschuss aus dem Henkerhaus in Nürnberg ;-)

Dienstag, 18. September 2012

Neil Gaiman - Coraline

Coraline ist ein aufgewecktes Mädchen, das mit ihren Eltern grade umgezogen ist. Die Nachbarschaft erscheint ein wenig seltsam, zwei alte Damen mit vielen Hunden und ein Direktor eines Mäusezirkus sind aber für ein Mädchen, dessen Eltern rund um die Uhr arbeiten und das deshalb nur an Tiefkühlkost gewöhnt ist, nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist eher die abgesperrte Tür im Wohnzimmer, hinter der sich eine zugemauerte Wand befindet. Bis Coraline eines nachts hinter dieser Tür ihr „anderes Zuhause“ findet, eine Parallelwelt, in der bis auf sie alle Leute doppelt vorkommen und sich nur durch eines unterscheiden: die Knöpfe, die sie statt Augen im Gesicht tragen …
Neil Gaiman ist ein verdammt vielseitiger Autor, wenn mir der Ausdruck erlaubt ist. Er schreibt Comics und Drehbücher, Romane und Bücher wie „Coraline“, die sich vordergründig an Kinder richten, aber auch Erwachsene unterhalten und fesseln. Dass „Coraline“ aber in erster Linie eine Kindergeschichte ist, merkt man dem Buch immer wieder an. Der Stil ist sehr einfach gehalten, es ist eine simpel strukturierte Gut-gegen-Böse-Geschichte wie im Märchen, die Figuren haben nicht allzuviel Tiefgang und das Ende ist dann doch vorhersehbar. Vor allem aber: viel zu kurz. Ich wäre gerne viel tiefer eingetaucht in diesen Kosmos, hätte gerne ein bisschen mehr von der Parallelwelt gelesen. Das ist leider nicht geschehen, so dass ich „Coraline“ zwar fantasyempfänglichen Kindern unbedingt ans Herz lege, erwachsenen Lesern aber eher als literarischen Zwischensnack empfehlen möchte, wenn es einem grade über den Weg läuft. Es ist gut, aber viel zu kurz.

Sempé/Goscinny - Neues vom kleinen Nick

Ganz ehrlich, wieviele Bücher haben eure Großeltern? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Meine Großeltern mütterlicherseits stammten aus Kleinbauernfamilien mit vielen Kindern und wenig Wohnraum und auch, wenn meine Oma als Jugendliche dem halben Dorf den Kopf verdreht hat und einen wundervollen, feinen Sinn für Humor besaß, eine große Leserin war sie selbst nie. Das einzige Buch, mit dem ich sie gesehen habe, war das Gesangbuch in der Kirche, und das einzige Buch im Schrank, an das ich mich erinnere, war eine ledergebundene Bibel, in der hinten unser Stammbaum stand. Aber als ich dann lesen konnte, hat sie mir zu jedem Buch, das ich mir gekauft habe, fünf Mark dazugeschossen – und sie hat nach meiner Einschulung die lange Fahrt in die Stadt auf sich genommen, ist in die Buchhandlung gegangen und hat dort für mich ein Buch gekauft, das fortan im Stockwerk unter meinem Zimmer auf mich wartete und ich weiß nicht wie oft gelesen worden ist. Es war in oranges Leinen gebunden, war im Laufe der Zeit furchtbar zerlesen, mit Schokoladenflecken verunstaltet und die Bilder waren zum Teil ausgemalt. Es hatte Eselsohren und irgendwann habe ich damit mal eine Fliege erschlagen, und es hieß „Der kleine Nick und seine Bande“.
Die Geschichten rund um den kleinen Nick, oder „Le petit Nicolas“, wie er im französischen Original heißt, sind in Frankreich ein Klassiker. Sie stammen von dem Autorenduo Georges Sempe, der für die Zeichnungen verantwortlich war, und Rene Goscinny, den wir auch als Texter von Asterix kennenlernen durften. Beide haben sich gemeinsam an ihre Schulzeit erinnert und eine Vielzahl von Geschichten geschrieben, die bislang nicht alle veröffentlich wurden. Goscinnys Tochter Anne fand vor einigen Jahren auf dem Dachboden achtzig Nick-Geschichten, die sie gemeinsam mit Sempe einige Jahrzehnte nach Goscinnys Tod doch noch dem Publikum präsentiert. Und ich muss sagen: es ist, als wären sie nie weggewesen.
Nick und seine Freunde. Das sind Otto, der Metzerssohn, der eigentlich nie ohne etwas zu Essen anzutreffen ist. Georg mit dem reichen Vater, der seinen Sohn über die Maßen verwöhnt. Franz, der jedem eins auf die Nase geben will, und Roland, dessen Vater Polizist ist. Natürlich darf auch Adalbert nicht fehlen, der Lehrerliebling mit der Brille, und der Schulversager Chlodwig, der automatisch in die Ecke geht, wenn die Lehrerin seinen Namen nennt. Sie alle sind Kinder, wie es sie zu allen Zeiten in allen Ländern geben wird, deshalb funktionieren die Geschichten rund um sie auch so gut (auch wenn in den deutschen Erstausgaben der Verlag wie man sehen kann wieder mal sehr *hust* behutsam Namen und Begleitumstände dem deutschen Markt angepasst hat). Die Geschichten sind normale Alltagserlebnisse, die von Nick in einer unnachahmlichen Atemlosigkeit erzählt werden, die mir als Lehrer Tränen in die Augen treiben: einerseits, weil Nick frei von der Leber weg erzählt und mir alles vor Augen führt, selbst dann, wenn er die Erwachsenen wieder mal überhaupt nicht verstehen kann, andererseits weil sie in einer Grammatik und Ausdrucksform daherkommen, die den Rotstift zücken lässt. Ignoriert man dieses Jucken in der Schreibhand, wie man es als Kind getan hat, wird man belohnt mit warmherzigen und urkomischen kurzen Geschichten, bei denen man Pariser Café-Musik im Hintergrund mitlaufen zu meinen hört. Einfach schön, so ein Ausflug in die Kindheit, einfach nur schön.

Mark Benecke - Mordspuren

„Du, der ist schon ein bisschen speziell, oder?“ fragte mich eine Freundin, als ich mit diesem Buch in der Handtasche bei ihr auftauchte. „Der“ ist in diesem Fall der Autor Mark Benecke, der in großem Bild vorne auf dem Cover zu sehen ist – ja, „speziell“ trifft es ganz gut. Mark Benecke ist ein doch recht schillernder Wissenschaftler, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass er Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Vampirismus ist, mit Vorliebe Schwarz trägt und ein Totenkopfring sein ständiger Begleiter ist. Die Vorstellung, dass er im Anzug vor Gericht als Gutachter aussagt, wirkt befremdlich, tatsächlich ist das aber sein Brotwerwerb, denn Benecke ist eine der anerkanntesten Persönlichkeiten im Bereich der Insektenkunde, er ist vereidigter Gutachter und Herausgeber diverser internationaler Magazine, hat Forschungsaufträge an verschiedenen Universitäten weltweit und war bereits mehrfach auf der „Body Farm“ zu Gast, die weit mehr ist als eine makabere Sammlung von Leichen irgendwo auf einem Uni-Gelände. (Übrigens schaffe ich es sogar, bei meinem Wochenendritual über ihn zu stolpern. Am Samstag lese ich immer die „Zeit“ und stolpere dort letzte Woche über einen Artikel über Mumien in einem italienischen Kloster – noch während ich denke „das ist doch was für den Benecke“ lese ich den Namen des daran mitarbeitenden Kriminalbiologen ... den Rest könnt ihr euch denken. )
Was Benecke außerdem ist: rühriger Autor. Inzwischen hat er drei populärwissenschaftliche Bücher über Kriminalbiologie und Kriminalfälle geschrieben, „Mordspuren“ war der zweite Band davon. Es sind keine hochwissenschaftlichen Bücher, sondern in erster Linie Unterhaltungsliteratur, die einen Einblick in die Arbeit geben und leichtes Gruseln hervorrufen soll, insofern erwartet und hier natürlich ein Who is Who des Makaberen. Es geht um Vampirismus und Kannibalismus, gefälschte Mumien und vom Erfolg gekrönte Ermittlungen. Gelegentlich, z.B. im Fall von Armin Meiwes, ergreift Benecke offen Partei, außerdem wünscht man sich als Leser hin und wieder doch etwas mehr Eingehen auf die Fakten eines Falls, um sich in den Ansammlungen zurechtzufinden, aber im Großen und Ganzen stellt das Buch eine bemerkenswert unterhaltsame Lektüre dar, die alles erfüllt, was man von guter Populärwissenschaft erwartet: Klarheit, Faszination mit dem leichten Gruselfaktor und Unterhaltung. All das bietet „Mordspuren“ auf durchaus hohem Niveau.

Stephen Fry - Der Lügner

Adrian Healey ist charmant. So ein Junge, den man sich später mal als Schwiegersohn wünscht. Allerdings ist Adrian auch ein Lügner – ein so charmanter und überzeugender Lügner, dass er damit seit Jahren durchs Leben kommt und das Extreme sucht. Sein anonymer Artikel in einer Schulzeitung an der ehrwürdigen Public School über Gruppensexorgien im Schlafsaal schockiert das Lehrerkollegium dann doch zu sehr und er muss die Schule verlassen. Dennoch kommt er nach Camebridge und studiert englische Literatur – und macht die Bekanntschaft von Donald Trefusis. Der Professor, der nach einem peinlichen Zwischenfall in einer Männertoilette aus dem aktiven Lehrdienst auszuscheiden droht, vertraut dem gerissenen Adrian ein Geheimnis an: er muss im Dienste des Vaterlands nach Salzburg reisen, um eine ungeheuerliche Erfindung zu retten. Ein Lügendeflektor, eine Maschine, der jeden Menschen zwingt, die Wahrheit zu sagen. Und Adrian soll ihn begleiten.
Damit beginnt eine rasante Spionagegeschichte, die mit einer unglaublichen Liebe zum Detail und zur Ausschweifung erzählt wird. Ach was, erzählt. Fry ist in Hochform und fabuliert, schwelgt in Sprache und absurden Einfällen, die fast schon ans Barocke grenzen. Nach diesem Buch, das das erste Buch war, das Fry veröffentlichte, weiß ich jetzt tatsächlich, was ich an ihm so mag: seine Begeisterungsfähigkeit. Sei es in Dokumentationen, in denen er sich freut wie ein Kind und jammert wie ein echter Mann, oder in Büchern, in denen man geradezu merkt, wie die Erzähllust mit ihm durchgeht und er es nicht mehr einsieht, sie zu zügeln: er ist immer bei der Sache und unverwechselbar er. So hat auch Adrian Healy sehr viel von Frys stürmerischem Public-School-Ich, das ich bis heute nur schwer mit dem twitternden Tchnik-Freak in Verbindung bringe, und Adrians Lügengeschichten wirken fast schon wie ein Vorausblick auf das Ganze Buch: nehmt es nicht Ernst, es ist doch nur eine Lüge – oder doch nicht?
Die Vermischung zwischen Fiktion und Relität gelingt vor allem durch Donald Trefusis, einem Professor, unter dessen Namen Fry regelmäßig Kolumnen und Radiobeiträge verfasste. Falls sie jemand lesen möchte: in „Paperweight“ sind etliche davon zusammengefasst (dazu werde ich auch irgendwann mal eine Rezension schreiben) ;-) Wer also lesen möchte, womit ein großer Professor seine Freizeit verbringt, wie englische Privatschüler in ihrer Schulzeit leiden, oder auch einfach nur rasant unterhalten werden möchte, der ist mit „Der Lügner“ perfekt bedient.

Montag, 10. September 2012

Hans Fallada - Wer einmal aus dem Blechnapf frisst

Willi Kufalt wird nach fünf Jahren aus dem Zuchthaus entlassen. Abgesessen hat er seine Strafe, aber was wird jetzt aus einem ehemaligen Prokuristen, der in die Kasse gegriffen und Abrechnungen gefälscht hat? Kein Prokurist mehr, so viel ist klar – aber Kufalt blickt trotz allem optimistisch in die Zukunft. Die wird schon auf ihn gewartet haben, Hauptsache ein Neuanfang in Hamburg. Aberwir schreiben die Endzwanziger Jahre, die Arbeitslosen stehen Schlange und die Gelegenheit, ein Ding zu drehen, wird nie wieder so günstig sein. Und überhaupt, wer gibt einem Zuchthäusler schon eine Chance, egal, warum er gesessen hat?
Fallada präsentiert hier im weitesten Sinne sein Alter Ego, auch er saß wegen Betrugs im Gefängnis und weiß, wovon er schreibt. Dementsprechend realistisch gelingen ihm die Erzählungen vom Gefängnisalltag und den Problemen, vor denen der Gefangen draußen im Leben steht. Denn eigentlich will Fallada keinen normalen Roman schreiben, sondern Ähnliches erreichen wie Zuckmayer mit seinem „Hauptmann von Köpenick“. Eine Anklage gegen das Strafsystem. Während Zuckmayer das mit den Mitteln der Ironie versucht, schreibt Fallada die einfache Geschichte eines einfachen Mannes, der gerne auf den eigenen Füßen stehen würde, wenn ihn das Leben nur nicht automatisch immer wieder schubsen würde. Willi Kufalt ist fast schon der Prototyp des „kleinen Mannes“, ein charmanter Kerl, der in den richtigen Situationen hartnäckig bleibt, kriegt, was er will, wenn er es richtig anstellt, und der sich nicht unterkriegen lassen will von der restlichen Welt. Ein Held? Na, nicht unbedingt. Ein Gauner? Sicher. Vor allem aber ein überzeugender Protagonist, dem man trotz oder gerade wegen seiner Fehler gerne folgt und dem man unweigerlich die Daumen drückt, sein redliches Leben allen Prognosen zum Trotz zu führen, auch wenn er weder für das eine noch für das andere Leben geschaffen zu sein scheint.
Der anklagende Tonfall führt allerdings auch dazu, dass die restlichen Figuren des Romans gelegentlich schon stark ins Stereotype verfallen. Vielleicht wirkt Kufalt auch gerade durch diesen Kontrast so normal und alltäglich, also ein geschickter Kunstgriff des Autors. Auf der anderen Seite bezweifle ich als Leser an keiner Stelle, dass es tatsächlich genau solche Leute gibt wie den salbungsvollen Herrn Seidenschwanz oder den saufenden Herrn Freese – aber so geballt in einem einzigen Leben wie dem von Willi Kufalt tauchen die hoffentlich nicht auf. Es erinnert schon fast an Charles Dickens, wie Fallada schreibt, wahrscheinlich gefällt er mir deshalb so gut. Hoffnungslosigkeit und Optimismus sind immer eine reizvolle Mischung in einem Roman, und nirgendwo sind sie so gut auf einem Haufen versammelt wie hier in diesem Buch.

Jussi Adler Olsen - Verachtung

Es ist soweit, endlich ist Band 4 der Reihe um Carl Morck und das Sonderdezernat Q im Buchhandel. Da noch Ferien sind und mich akute Unlust von meinen zu erledigenden Pflichten abhält, habe ich es mir am Wochenende gemütlich gemacht und „Verachtung“ gelesen…
Es ist wiedermal eher Zufall, dass das Dezernat an seinen neuen Fall kommt. Eine alte Akte, die die Sekretärin Rose aus dem Stapel zieht, behandelt das Verschwinden von Rita Nielsen im Jahr 1987. Die Polizei hatte sich nicht allzu lange mit der Suche aufgehalten, wer vermisst schon eine alternde Callgirl-Chefin? Als Selbstmord deklariert wurde der Fall eigentlich geschlossen, aber eins riecht nach einem neuen Fall: dass nämlich im selben Monat noch vier andere Menschen spurlos verschwunden sind, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen: ein Rechtsanwalt, dessen Kanzlei vor der Pleite stand; ein ehemaliger Fischer, der jetzt vor allem schwankt, weil er dauernd besoffen ist; eine Krankenschwester, ebenfalls im dauerblauen Zustand, und ein Sozialhilfeempfänger. Was das Dezernat erstmal nicht ahnt, sondern nur der Leser parallel serviert bekommt, ist die Geschichte von Nete Rosen, einem jungen Mädchen, das in den Fünfziger Jahren nach einer Abtreibung in die Mühlen der Fürsorgejustiz gerät und schließlich in einem Heim für Schwererziehbare und Geisteskranke landet…
Es ist starker Tobak, den Jussi Adler Olsen dem Leser diesmal zumutet, denn zumindest der Bereich über die Vorgänge in solchen Heimen beruht einzig und allein auf Tatsachen. Bis in die Sechziger hinein wurden Mädchen, die uneheliche Kinder bekommen hatten oder die von der Polizei wegen Prostitution oder dergleichen Delikte verhaftet worden waren, als Geisteskranke behandelt (schließlich waren sie promiskuitiv!) und wurden zum Zwecke der Resozialisierung in Heimen behandelt. Die Chance, aus dem Heim wegen guter Führung entlassen zu werden, war gering, bei einer Entlassung wurden die Mädchen sterilisiert. Klingt ein bisschen nach Nazi? Es basiert auf denselben Theorien zur Eugenik, die zu Beginn des 20.Jahrhunderts in ganz Europa aufkamen. Stärker als in den bisherigen Büchern versucht Jussi Adler Olsen hier (ähnlich wie z.B. Henning Mankell) gesellschaftskritische Themen mit dem Fall zu kombinieren, wodurch dieser gelegentlich ein wenig ins Hintertreffen gerät. Darüber hinaus will er in dem Buch auch noch zusätzlich die Figuren weiterentwickeln und neue Ansätze in deren Privatleben schaffen. Das Ganze führt dazu, dass das Buch für mich zumindest nicht an seine drei Vorgänger in der Spannung heranreichen kann – auf der anderen Seite fand ich die Geschichte von Nete so spannend und interessant, dass ich da gerne noch mehr gelesen hätte. Was mir sehr gut gefallen hat: Adler Olsen scheint seine Serie inzwischen mit etwas mehr Ironie zu sehen und ihm scheint klar zu sein, dass sie nicht unbedingt die Realität wiedergibt, insofern sind seine Figuren – fernab jeder Überzeichnung und Überspitzung – eher mit einem Augenzwinkern geschrieben und selbst das neue Einsatzfahrzeug passt da wie die Faust aufs Auge. Außerdem gab es am Ende der Geschichte einen kleinen Twist, der mir sehr gut gefallen hat, weil er für mich eher unberechenbar auftauchte und trotzdem sehr logisch mit der Geschichte verschmolz.
Fazit für mich: nicht der beste aller Krimis, aber dennoch ein würdiger Teil der Serie, die sich immer mehr zu einer eher zwinkernden Parallelwelt des typisch skandinavischen Krimis entwickelt.

Annette Leo . Erwin Strittmatter. Die Biografie

Es gibt ja Schriftsteller, über deren Namen stolpert man hin und wieder, hat aber noch nie bewusst etwas von ihnen gelesen. Erwin Strittmatter ist für mich ein solcher Autor. Klar, ich habe damals „Der Laden“ im Fernsehen gesehen und seitdem immer mit dem Gedanken gespielt, ihn mal zu lesen, es dann aber aus Zeit- und Interessenmangel wieder beiseitegeschoben. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich so gar nichts über den Autor weiß und deswegen nicht lange gezögert habe, zumindest mal eine Biografie über ihn zu lesen, bevor ich mich an einen autobiographischen Roman von ihm wage …
Zunächst mal erfahre ich etwas relativ verblüffendes, nämlich dass dieser unbekannte Autor in der DDR ein absolut gelesener und geliebter Autor war, vielfach ausgezeichnet und gerne als Klassenlektüre genutzt. Irgendwie ist das an mir vorbeigegangen – Kunststück, als er gestorben ist, war ich grade mal zwölf Jahre alt und meine literarischen Vorlieben an anderen Stellen verortet. Einen DDR-Autor habe ich so bewusst unter der Voraussetzung noch nie kennengelernt, wenn man von dem gescheiterten Versuch meines Deutschlehrers in der 11.Klasse absieht, uns für Christa Wolf zu begeistern. Allerdings ist diese durchaus lange Phase seines Lebens in der Biographie … nein, formulieren wir es etwas anders.
Erwin Strittmatter wurde 1912 geboren, was dazu führt, dass er den Nationalsozialismus im interessanten Alter des jungen Erwachsenen erlebt hat – alt genug, um zu wissen, was er tut und um eine andere Kindheit erfahren zu haben als die durch den Nationalsozialismus gesteuerte. Deshalb war es auch nicht großartig überraschend, dass er im Krieg war. Allerdings tauchten dann 1994 Dokumente auf, die zumindest deutlich nahelegten, dass Strittmatter nicht nur einfacher Soldat bei den Gebirgsjägern war, sondern dass er sich eigentlich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte und seine Einsätze als Gebirgsjäger sich nicht nur auf das Einfangen durchgegangener Pferde beschränkt hatten. Da er selbst in seinen Werken und auch bisherige Biografien diese Zeit aber eher beiläufig abgehakt hatten, legt Annette Leo in ihrer neu erschienenen Biografie den Fokus verstärkt auf die Zeit zwischen 1941 und 1945. Das begünstigt zwar eine sehr wissenschaftlich-analytische und überzeugende Beweisführung unter der Frage „Was wusste Strittmatter von Massenerschießungen und dergleichen?“, geht aber eindeutig zuungunsten einer vollständigen Darstellung von Strittmatters Leben. Irgendwie bleibt dieser Mann auch nach der Lektüre, für mich zumindest, merkwürdig blass und wenig greifbar, ich hätte mir gewünscht, mehr über ihn zu erfahren und sein durchaus spannendes Privatleben – aber da ist dann ein Cut gemacht. Am Bild des etwas wunderlichen, liebenswert ins Chaos verstrickten Mannes wird nur im Ansatz gekratzt. Dass die meisten seiner fünf (oder waren es mehr? Da ist das Buch nicht so präzise) Söhne aus drei Ehen im Kinderheim aufwachsen, weil Strittmatter mit Kindern nicht klarkommt und sich in seinem Schaffen gestört fühlt, dass er seine Ehefrauen effektiv permanent betrügt – das wird mal so am Rande kurz erwähnt, bleibt aber letztlich ohne die große Aufarbeitung, die die Autorin für die Kriegsjahre in Anspruch nimmt. Ähnliches gilt für die Kindheit und Jugend, auch hier ist es irgendwie zwar detailliert aber unpräzise, ein starkes Skelett ohne ein Gramm Fleisch auf den Knochen.
Insgesamt muss ich sagen: die Autorin versteht, durchaus unterhaltsam zu schreiben und mit ihren Ausführungen zu fesseln. Dabei schießt sie gelegentlich fast schon über das Ziel hinaus, belegt alles mit Quellen und Interviews – eine sehr gute Aufarbeitung. Schwachstelle, zumindest für mich, ist die Tatsache, dass ihr Forschungsobjekt dabei trotz allem sehr blass bleibt, ja bleiben muss, weil sie sehr stark fokussiert und die restliche Biografie dann eher im Schnelldurchgang abhandelt.

Sonntag, 9. September 2012

Wieder zu Hause

Wie ihr gemerkt habt, der Blog lebt wieder ;-) Nach einer Woche Italien und einer Woche Erkältung, bin ich nunmehr wieder in der Lage, mich Büchern zu widmen. Was war es in italien schön - und vor allem schön warm. Bis auf unseren zweiten Tag, den wir dann gemütlich im Wohnwagen verbracht haben, weil es ganztätig gewitterte und wie aus Kübeln goss. Danach sind mein Mann und ich aber durch die Toskana getourt, Siena, Florenz, sogar Rom stand auf dem Plan - und jede Menge Fotos. Viel zu viele, um sie euch alle zu zeigen, deshalb nur eine kleine Auswahl für die, die es interessiert



Jon Krakauer - In eisige Höhen


Muss man zu diesem Bild mehr sagen? Was ihr hier seht, sind die Überreste, die Bergsteiger seit Beginn der kommerziellen Expeditionen zum Dach der Welt auf eben diesem Dach hinterlassen haben. Sauerstoffflaschen, kaputte Zelte und alles, was bei einer Tour zum Gipfel des Mount Everest noch anfallen kann. 1994 reise der Journalist Jon Krakauer im Auftrag der Zeitschrift nach Nepal, um eine Reportage über die Probleme des „Massentourismus“ am Mount Everest zu schreiben. Krakauer, selbst Bergsteiger mit Höhenerfahrungen bis 6000 Metern, schloss sich dafür einer kommerziellen Tour an, die ihn auf den Gipfel bringen sollte – am Ende der Besteigung gerieten Krakauer und die übrigen Expeditionen in eine der schwersten Katastrophen in der Geschichte des Mount Everst, bei der nicht nur vier von seinen Teamkameraden ums Leben kamen, sondern drei weitere sofort und weitere vier in den nächsten Wochen. Aus Krakauers Reportage über Umweltzerstörung und Probleme durch Unerfahrenheit wurde ein sehr detaillierter Bericht über menschliches Versagen, Hybris und die Schönheit des Bergsteigens…


Das für mich immer wieder neu Faszinierende an diesem Buch ist die Tatsache, dass Krakauer es schafft, selbst für mich höhenkrankes Landei Bergsteigen als eine Option darzustellen, die ich theoretisch mal angehen könnte. Vielleicht nicht gleich den Mount Everest, aber so einen kleinen Dreitausender mit Seil erklimmen … ähm, halt, stop, dazu müsste ich mich körperlich anstrengen und riskiere trotz allem mein Leben. Eine Tatsache, die jedem Bergsteiger immer bewusst ist und die dennoch immer wieder neu bewiesen wird (was stand neulich in der Zeitung? Der Siebzigjährige, der in den Alpen in eine Gletscherspalte stürzte, ist wieder zu Hause in der Oberpfalz). Was treibt also Menschen dazu, sich in solche Extremsituationen zu begeben, das Risiko des eigenen Todes bei jedem Schritt bewusst in Kauf zu nehmen, um dann am Ende ein Fähnchen in einen Berggipfel zu stecken? Diese Frage versucht Krakauer zu beantworten, und er geht dabei nicht nur mit der Menschheit, sondern auch mit sich selbst ins Gericht. Auch er hat den Tod dieser Menschen mit zu verantworten, hat eventuell geschwächt durch Sauerstoffmangel dafür gesorgt, dass einem davon nicht Hilfe zuteil wurde, als sie noch möglich war, und hat diese Erlebnisse bis heute nicht verwunden. Ich frage mich, wie es Reinhold Messner geht, der seinen Bruder in eine Gletscherspalte fallen lassen musste, und welche Gedanken jemand hat, der am Everest an den tiefgefrorenen Leichen vorbeikommt, die es nicht wieder ins Tal geschafft haben. Und doch, trotz all dieses Grauens, kann ich am Ende ein klein bisschen nachvollziehen, wie es sich anfühlen muss, wenn man das geschafft hat, wenn man am Gipfel steht und weiß: weiter als du wird in diesem leben kein Mensch kommen, hier oben ist das Ende der Welt. Und ich kann plötzlich verstehen, warum jemand trotz aller dagegensprechenden Logik, darauf drängt, dort hinzukommen und sich weigert umzukehren. Dass dadurch eine Katastrophe geschehen kann wie 1994 lässt man gerne aus – Katastrophen, das passiert den anderen, nicht einem selbst. Selbstüberschätzung, der Glaube an die Fähigkeiten der anderen, grenzenloser Optimismus – das ist es, was die Expeditionen 1994 teilten (und ganz ehrlich, wenn man liest, wer da zum Teil mit welcher Erfahrung hochgeschleppt wurde, fragt man sich vor allem, warum damals nicht noch mehr Leute ums Leben gekommen sind!) und wovor krakauer warnen möchte. Das tut er in einer einfachen, klar strukturierten Sprache, die jedes Detail erzählt und Fakten nennt, die den Leser eigene Schlüsse ziehen lassen. Es ist keine Anklageschrift, aber kein Leser wird nach dem Ende des Buches sagen, dass das alles eine unvorhersehbare Katastrophe war.