Ganz ehrlich, wieviele Bücher haben eure Großeltern? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Meine Großeltern mütterlicherseits stammten aus Kleinbauernfamilien mit vielen Kindern und wenig Wohnraum und auch, wenn meine Oma als Jugendliche dem halben Dorf den Kopf verdreht hat und einen wundervollen, feinen Sinn für Humor besaß, eine große Leserin war sie selbst nie. Das einzige Buch, mit dem ich sie gesehen habe, war das Gesangbuch in der Kirche, und das einzige Buch im Schrank, an das ich mich erinnere, war eine ledergebundene Bibel, in der hinten unser Stammbaum stand. Aber als ich dann lesen konnte, hat sie mir zu jedem Buch, das ich mir gekauft habe, fünf Mark dazugeschossen – und sie hat nach meiner Einschulung die lange Fahrt in die Stadt auf sich genommen, ist in die Buchhandlung gegangen und hat dort für mich ein Buch gekauft, das fortan im Stockwerk unter meinem Zimmer auf mich wartete und ich weiß nicht wie oft gelesen worden ist. Es war in oranges Leinen gebunden, war im Laufe der Zeit furchtbar zerlesen, mit Schokoladenflecken verunstaltet und die Bilder waren zum Teil ausgemalt. Es hatte Eselsohren und irgendwann habe ich damit mal eine Fliege erschlagen, und es hieß „Der kleine Nick und seine Bande“.
Die Geschichten rund um den kleinen Nick, oder „Le petit Nicolas“, wie er im französischen Original heißt, sind in Frankreich ein Klassiker. Sie stammen von dem Autorenduo Georges Sempe, der für die Zeichnungen verantwortlich war, und Rene Goscinny, den wir auch als Texter von Asterix kennenlernen durften. Beide haben sich gemeinsam an ihre Schulzeit erinnert und eine Vielzahl von Geschichten geschrieben, die bislang nicht alle veröffentlich wurden. Goscinnys Tochter Anne fand vor einigen Jahren auf dem Dachboden achtzig Nick-Geschichten, die sie gemeinsam mit Sempe einige Jahrzehnte nach Goscinnys Tod doch noch dem Publikum präsentiert. Und ich muss sagen: es ist, als wären sie nie weggewesen.
Nick und seine Freunde. Das sind Otto, der Metzerssohn, der eigentlich nie ohne etwas zu Essen anzutreffen ist. Georg mit dem reichen Vater, der seinen Sohn über die Maßen verwöhnt. Franz, der jedem eins auf die Nase geben will, und Roland, dessen Vater Polizist ist. Natürlich darf auch Adalbert nicht fehlen, der Lehrerliebling mit der Brille, und der Schulversager Chlodwig, der automatisch in die Ecke geht, wenn die Lehrerin seinen Namen nennt. Sie alle sind Kinder, wie es sie zu allen Zeiten in allen Ländern geben wird, deshalb funktionieren die Geschichten rund um sie auch so gut (auch wenn in den deutschen Erstausgaben der Verlag wie man sehen kann wieder mal sehr *hust* behutsam Namen und Begleitumstände dem deutschen Markt angepasst hat). Die Geschichten sind normale Alltagserlebnisse, die von Nick in einer unnachahmlichen Atemlosigkeit erzählt werden, die mir als Lehrer Tränen in die Augen treiben: einerseits, weil Nick frei von der Leber weg erzählt und mir alles vor Augen führt, selbst dann, wenn er die Erwachsenen wieder mal überhaupt nicht verstehen kann, andererseits weil sie in einer Grammatik und Ausdrucksform daherkommen, die den Rotstift zücken lässt. Ignoriert man dieses Jucken in der Schreibhand, wie man es als Kind getan hat, wird man belohnt mit warmherzigen und urkomischen kurzen Geschichten, bei denen man Pariser Café-Musik im Hintergrund mitlaufen zu meinen hört. Einfach schön, so ein Ausflug in die Kindheit, einfach nur schön.
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