Sonntag, 19. Juni 2016

[Rezensionsexemplar] Sarah Fischer - Die Mutterglücklüge

Noch nie ist es mir so schwer gefallen, eine Rezension in Worte zu fassen, weil ich schon beim Lesen, noch mehr aber beim Schreiben ständig hin- und hergerissen wurde, wie ich das Buch nun eigentlich finde. Lesen wollte ich es unbedingt, sodass es sich angeboten hat, es mir über das bloggerportal auch zukommen zu lassen. Gelesen habe ich es dann wirklich innerhalb kürzester Zeit und es einfach nicht geschafft, meine Meinung in Worte zu fassen. Heute versuche ich es aber zumindest einmal ...

Sarah Fischer ist Ende Dreißig, als sie schwanger wird. Kein Unfall, kein wirklich mit allen Wassern geplantes Wunschkind, sondern so, wie man sich das einfach irgendwie wünscht: schnell, relativ schmerzlos und in einer so gefestigten Beziehung, dass klar ist, dass das schon werden wird. Sie ist selbstständig, hält Vortärge und reist viel im In- und Ausland, und schnell ist klar, dass dieses bisherige Leben und ein Kind doch nicht miteinander verinbar sind. Oder doch? Woher kommen eigentlich diese Bedenken, dass sie als Schwangere oder frische Mutter nicht in der Lage sein sollte, ein Projekt zu stemmen, dass es auch nötig macht, im Ausland unterwegs zu sein? Wieso gibt es, egal was sie macht, diese Blicke zwischen "krieg ertmal das Kind" und "also wirklich, wie kann sie nur ...". Als sie danns chlielich mit Kind auf dem Spielplatz steht und sich zwischen Babybreigesprächen und dem Schäufelchenklau langweilt, fängt sie an zu zweifeln. Bereut sie wirklich ihre Mutterschaft?

An dieser Frage scheitere ich auch ein bisschen. Ich glaube, der Titel des Buches führt ein wenig in die Irre. "Regretting Motherhood" ist der Titel einer Studie aus Israel, bei der letztes Jahr zum ersten Mal Frauen offenbarten: eigentlich, im Nachhinein betrachtet, finde ich Mutterschaft gar nicht so toll, wie sie immer verkauft wird. Ich gestehe ehrlich, dass ich mich da deutlich wiederfinde, obwohl bei mir erstmal nur die Schwangerschaft ansteht - aber ernsthaft, an den meisten Tagen könnte sich eine Schwangerschaft für mich auch gerne kürzer gestalten als vierzig Wochen ;-) Diese Studie wird von Sarah Fischer im Buch auch aufgegriffen, allerdings finde ich eben gerade nicht, dass es bei ihrem Fall wirklich ein Fall ist, bei dem sie ihre Mutterschaft bereut. Der Untertitel trifft es viel eher - sie bereut nicht die Mutterschaft, aber sie scheitert an einem System, dass trotz aller vordergründiger Gleichheit immer noch erwartet, dass eine Mutter ein bestimmtes Rollenbild erfüllt und, sollte sie das nciht tun, jede Menge Steine in den Weg legt. Diese Steine sind sowohl gesellschaftlich als auch strukturell bedingt.

Strukturell bedeutet Elternschaft immer noch finanzielle Einbußen, die eine Familie verkraften muss. Da müssen ab Geburt zweieinhalb Personen ernährt werden, dank Elterngeld hat man aber nur noch ein Einkommen und sechzig Prozent Zweiteinkommen. Immerhin sind wir in Deutschland ziemlich gut dabei, was Kindergeld angeht, andere Länder sind da durchaus knausriger. Oder man entscheidet sich, von Anfang an wieder arbeiten zu gehen, dann geht aber genauso ein großer Teil eines Einkommens drauf für die Unterbringung in einer Tageseinrichtung. Also arbeiten, damit man das Geld verdient, das man dafür ausgibt, arbeiten gehen zu können - oder doch zu Hause bleiben? Mal ehrlich, für die meisten Familien ist es keine große Frage der Selbstverwirklichung, sondern eine reine rechnerische Überlegung, wie man als Familie finanziell über die Runden kommt!

Gleichzeitig, und das ist vielleicht das schlimmere, sind wir hier in Deutsschland sehr stark geprägt von einem bestimmten Bild der Mutter. Der Sich-Kümmerin. Der Liebenden. Derjenigen, die keinerlei Problem damit hat, ei, zwei, drei Jahre ihre Tage daran auszurichten, Popos abzuwischen, Brei zu kochen und zu fördern. Und dieses Bild macht zunehmend Frauen auch Angst. Frauen, die in Positionen arbeiten, in denen sie geistig gefordert werden und anspruchsvolle Termine organisieren. Plötzlich ein anderes Betätigungsfeld, undd as klingt in der Stellenbeschreibung einfach nicht grade nach High-Life und Spannung. Ich gestehe ehrlich: auch ich habe Angst davor. Ich finde Babys alles andere als spannend. Mir ist egal, wer wann wie oft die Windel vollmacht, ob Eva-Lottchen ein Zahn wächst oder Fritzchen schon alleine sitzt. Genau darum drehen sich aber sehr oft die Gespräche von Müttern, die ich so mitbekomme als heimlicher Lauscher in Zug, Café oder sonstwo. Überhaupt, es geht imemr wieder um das "Richtige", das "Pädagogisch-Wertvolle", dem man als Mutter quasi genetisch verpflichtet sein muss - und alle anderen Entscheidungen sind egoistisch. Sarah Fischer wird von ihrem Umfeld so lange mürbe gemacht, bis sie eine tolle Jobchance aufgibt - weil sie das erste Sitzen ihrer Tochter verpassen könnte. Das SITZEN! Himmel hilf noch einmal, es kann sein, dass ich die ersten Worte meines Kindes verpasse, weil ich zu dem Zeitpunkt grade auf dem Klo sitze - muss ich sie etwa immer mitnehmen, um die wertvolle Eltern-Kind-Bindung nicht zu gefähren? Argumentiert wird bei diesen gesellschaftlichen Bewertungen nämlich immer damit  der Gefährung von Bindung oder der potentiellen Schädigung des Kindes. Dabei gibte s effektiv keine wirklichen Studien, die zeigen können, welche Auswirkungen etwas auf einen Menschen hat - wir können Kinder nämlich nicht nochmal reinschieben, nochmal gebären und dann etwas anders machen, um wirklich zu erfahren, welche Verhaltensweisen oder Eigenschaften tatsächlich umwelt- und erziehungsbedingt sind. Erstaunlicherweise machen solche Diskussionen über die Vaterrolle deutlich weniger Zeit aus - aber Mütter stehen, egal, was sie machen, unter Rechtfertigungsdruck.

Vielleicht liegt genau daran mein Problem mit dem Buch. Eigentlich hätte Sarah Fischer gar kein so großes Problem bekommen, hätte sie von Anfang an mit ihrem Mann eine Vereinbarung gemacht: Du kommst mit Babys besser zurecht, also bleib du zu Hause. Ich verdiene das Geld. Nein, du musst dich nicht Mama nennen lassen, wir teilen das einfach nur so auf, wie es für uns drei das Beste ist. Deshalb ist das Buch allerdings auch wichtig, deshalb ist die Diskussion, die auch sie mit dem Buch führt, weiterhin wichtig: weil wir als Gesellschaft lernen müssen, umzudenken. "Das Beste" für ein Baby - das ist nicht automatisch "Mama stillt und Papa verdient die Brötchen". "Das Beste" kann auch sein, dass Papa die Flasche gibt (oh Wunder, man kann auch abpumpen) und Mama in ihrem fordernden Job zwar selten zwei Wochen am Stück zu Hause ist, dafür aber verdammt gute Quality Time gibt. Oder in der beide Elternteile so arbeiten, dass es kein großes Gedrängel gibt mit Betreuungszeiten des Kindes. Oder in denen nur einer arbeitet und der andere den Haushalt führt. Egal, wofür sich eine Familie entscheidet: es ist "das Beste". Und es geht letztlich noch nicht einmal die Nachbarn an, warum es das ist.

[Buchgedanken] Elias Canetti - Die Stimmen von Marrakesch

1954 wird Elias Canetti Begleiter eines Filmteams, das in Marokko eine Dokumentation dreht. Er selbst ist als Autor dabei und hält dabei seine Eindrücke von Marrakesch fest. Dies allerdings nicht wie in einem klassischen Reisebericht, sondern als Skizzen und Miniaturen, in denen er seine Leser entführt in die Seiten Marrakeschas abseits der Sehenswürdigkeiten. Elias Canetti streift durch die arabischen und jüdischen Viertel der Stadt, atmet die seltsamen Gerüche, beobachtet die feilschenden Händler in den Suks und die Verkäuferinnen duftenden Brotes, vernimmt die Stimmen der Blinden, Bettler und zungenlosen Krüppel in den Slums, spürt die Nähe des Todes vor den Kamelen mit ihren Schlächtern, staunt über die vielen Gesichter armer Juden in der Mellah und wird Zeuge des Lebens in einer Stadt, die so fern von westlichen Erfahrungen ist und dennoch nicht einfach das Bild des Orients vermittelt ...

Ich habe mich zumindest in den letzten Wochen sehr weit von meinen normalen Leseorten entfernt und bin so dann auch in Marokko gelandet. Das Buch stand schon seit mehreren Jahren bei mir im Schrank, was ich im Nachhinein wirklich bereue. Vielleicht braucht man aber auch ein schwül-warmes Wochenende wie vor kurzem, um sich auf dieses Buch einzulassen und davontragen zu lassen. Zumindest mir ging es so beim Lesen, dass mich umgeben von diesem Wetter Canettis Sprache eingefangen und mir die Bilder sehr nachdrücklich vor Augen geführt hat. Dabei ist er nicht einmal sonderlich sprachgewaltig, sodass ich sagen würde, er haut mich völlig um, aber seine Beschreibungen haben einfach dieses Etwas, das alles, was er gesehen hat, lebendig macht. Ich muss dazu sagen, dass es meine erste Begegnung mit Canetti war, bisher habe ich ihn einfach als Autor so gar nicht wahrgenommen. Das werde ich schleunigst ändern und mich bei seinen Marokko-Büchern noch ein bisschen länger aufhalten, wenn möglich :-)

[Rezensionsexemplar] Simon Borowiak - Sucht

Cromwell hat sieben verschiedene Hausärzte. Die braucht er auch, denn einer alleine würde den tablettensüchtigen Beinnahe-Privatdetektiv nicht mit der Menge an Uppern und Downern versorgen, die er benötigt, um durch den Tag zu kommen. Doch eines Tages klappt das nicht mehr und seine beiden Freunde beschließen, ihn in eine Klinik zu bringen. Entzug, so heißt das Zauberwort - aber dann taucht seine Ex- oder doch nicht Ex-Freundin auf der Station auf und mit einem Mal will nicht nur Cromwell aus der Psychiatrie raus, sondern sein bester Freund um jeden Preis rein ...

Das Buch klang irrsinnig vielversprechend. Irgendwie witzig, irgendwie abgedreht, irgendwie nicht so deprimierend wie das Leben mit einer Sucht. Allerdings ... ach, ich weiß auch nicht. Je länger ich gelesen habe, desto öfter habe ich mich gefragt "Warum willst du das überhaupt noch lesen?" Auf mich wirkte das Buch sehr gewollt witzig und gewollt "haha, Sucht ist gar nicht so, wie ihr euch das vorstellt". Ich fand weder die Sprache, die irgendwo zwischen bewusst schockierend und jämmerlich provozierend tänzelt, sonderlich mitreißend, noch die Story zielgeführt genug. Was genau soll ich als Leser aus dem Buch mitnehmen? Nach em tieferen Sinn muss man nicht fragen dabei, wenn dann wenigstens irgendein tieferer Humor damit verbunden wäre. Aber der beschränkt sich auf den meisten Seiten auf dem Niveau der Pennäler-Klamotten aus den Siebzigern. Kann man haben, muss man aber eigentlich nicht. Für mich kein wirklicher Gewinn in diesem Jahr ...