Bevor ich glücklich lächeln konnte, drängelte sich eine dumme kleine Frage vor: und welche soll das sein?
Ja, das ist sie, die Frage aller Fragen. Welche literarische Figur hat mich überhaupt jemals beeindruckt? Welche wäre würdig
"Es war eine dumpfe, geborstene, gewürgte, entstellte Stimme, die Stimme eines von Branntwein und Fusel heiseren Mannes. Marius drehte sich um und sah ein junges Mädchen."
Mein Name stammt von Eponine Thenadier. In Victor Hugos Roman "Die Elenden" nimmt sie gerade einmal den Platz zwischen den Seiten 174 und 571 im zweiten Band ein. Nicht einmal vollständig, sie huscht oftmals nur hier und da durch das Bild. Und dennoch hat mich Ponine von Anfang an beeindruckt, schon bevor ich den Gedanken an das Musical fassen konnte. Gelesen habe ich "Die Elenden" zum ersten Mal mit 15, ich war so alt wie Eponine. Victor Hugo, der Wortgewaltige, beschreibt sie bei ihrem ersten Auftreten so schonungslos ehrlich brutal wie trotz allem liebevoll. Sie ist seine "Rose im Elend", ein viel zu früh gealtertes Mädchen, "eine Fünfzehnjährige von fünfzig Jahren". Eponine spielt keine wesentliche Rolle im Buch. Sie ist diejenige, die Botengänge erledigt, diejenige, die wie keine andere Figur darstellt, wofür diese Studenten eigentlich kämpfen. Und dennoch übersieht dieser dumme große Junge Marius, völlig, wer Ponine eigentlich ist.Eben nicht eine Rose, sondern jemand, der die Grenze zwischen Legalität und Illegalität mehrfach gesehen hat.
Ein Mädchen, das kein Blatt vor den Mund nimmt und dennoch bei den wichtgen Dingen erst ganz zum Schluss den Mund aufmacht.
Ein Mädchen, das alles kennt, alles gesehen hat und um das man sich Sorgen machen sollte, wenn es nicht zu viele von ihr gäbe.
Ein Mädchen, das ich kurz und knapp gesagt, so verdammt beeindruckend fand, dass ich fast schon in sie verliebt war.
An Ponine konnte ich damals festhalten, sie wäre ich gerne gewesen im Alter von 15. Sie war forsch, sie war unverschämt, sie war überbordend in ihrer Lebenslust und in ihrer Liebe, die sie trotzdem nicht zeigen konnte. "Ich glaube, ich war ein wenig in Sie verliebt" sind Ponines letzte Worte zu Marius, bevor sie auf Seite 571 stirbt. Ich habe bei diesen Worten Rotz und Wasser geheult, weil sie so einfach waren und so zu diesem Mädchen gepasst haben, dass immer zu kurz kommen musste im Roman - selbst ihr Tod ist Hugo eigentlich nur eine Zeile wert. sie ist das Gesicht, das in der Masse kurz aufblitzt und dann schon wieder verschwunden ist. Und weil ich ein wenig länger an sie erinnern will, bin ich Ponine.
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