Samstag, 29. Juni 2013

J.M. Calder - Ich töte, was du liebst

Gebt es doch einfach zu, ihr habt darauf gewartet, dass hier mal wieder ein "Cody" auftaucht. Ich habe es nicht darauf angelegt, aber nachdem ich dieses Buch gelesen habe, ist es mir gradezu ein Bedürfnis, eine Rezension mit den Worten zu beginnen:

Was haben Sie gefrühstückt, Mr. Calder?

An dieser Stelle erneut die Warnung: Achtung, diese Rezension enthält gewaltige Spoiler!!!

"Ich töte, was du liebst" beginnt mit einem sehr interessanten Ausgangsgedanken. Alls drei Monate, immer am 22., wird ein Kind entführt. Kurze Zeit später erhalten die Eltern Post mit einem abgetrennten Körperteil ihres Kindes und einer sehr deutlichen Aufforderung an die Mutter: Töte dich selbst, dann wird dein Kind freikommen. Zwei Mütter haben diese Bedingungen erfüllt, eine weitere erhielt wenig später einen Brief, sie habe Glück gehabt. Ihr schwer traumatisierter Sohn wird kurze Zeit später aufgefunden. Die Detectives Solly Glass und *ich kann mich beim besten Willen nicht an seinen Vornamen erinnern* Malone beginnen zu ermitteln und der Leser begleitet sie nun auf ... ja, auf was eigentlich?

Im positiven Sinne könnte man jetzt sagen, das Autorenteam wollte die langsamen Entwicklungen während einer Ermittlung zeigen. Oder, was meine Vermutung ist, ihnen ist nicht wirklich eingefallen, was man nach der interessanten Ausgangslage weiter machen soll - anders ist es mir nicht erklärbar, wie sie allen Ernstes auf so einen Bullshit kommen. Wo soll ich nur anfangen?

Bleiben wir erstmal beim Plot. Einhundert lange Seiten lang passiert effektiv gar nichts. Die Detectives fahren von A nach B und wieder zurück. Und dann, urplötzlich, dank eines LEEREN Päckchens, eingeschlagen in rotes Papier, hat Solly *wo ist meine Glaskugel?* Glass die Erleuchtung: der Psychopath kann nur einer sein! Und er hat es - wie soll es auch anders sein - natürlich auf Solly Glass abgesehen! Mein Gesicht sah an dieser Stelle aus wie eine Mischung aus Munchs "Schrei" und einer Eule. Ich meine, selbst Agatha Christie, die Königin des "wo kommt der denn jetzt her?" hat es in keinem ihrer Bücher gewagt, einen Mörder so aus dem Hut zu zaubern. Jedes anständige Kaninchen würde sich dagegen wehren, so behandelt zu werden! Aber gut, verdauen wir diesen seltsamen Psychopathen, der einen Rachefeldzug gegen einen Detective der indirekt seine Nichten auf dem Gewissen hat, dadurch einleitet, dem Detective völlig unbekannte Familien zu ermorden. Kann ja mal vorkommen. Und vor uns liegen ja immer noch 300 Seiten. Und die sind angefüllt mit ... ihr werdet es nicht erraten, oder? Mit so dermaßen atemberaubend absurden Ideen, dass ich kurzzeitig der Meinung war, das Buch sei vielleicht gar kein Thriller, sondern eine Parodie. Zu meinen Highlights zählt dabei, dass der Täter seine Entführungsopfer dadurch auswählt, dass er *Trommelwirbel* als Frau verkleidet in einem Coffeeshop als Kellnerin arbeitet, die Musikfachhandlung gegenüber beobachtet und dadurch die Namen der Kinder herausfindet, sie ausspioniert und dann drei Tage freinimmt, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Übrigens macht er den besten Kaffee von ganz New York. Die Detectives fahren wieder mal von A nach B, und wenn Solly wieder einen seiner Anfälle von plötzlicher Erleuchtung bekommt, auch mal spontan im Alleingang nach C, aber das darf natürlich nur Solly. Malone hat dafür Sex mit der Computerexpertin Nina, einer so unglaublichen Granate, dass sie allein durch ihre sexuelle Anziehungskraft Firewalls niederknien lässt.

Damit sind wir auch schon bei den so unglaublichen Charakteren des Buchs. Allen voran Solly Glass. Nicht nur, dass der Mann an akuten Anfällen von "Hah, so muss es sein!" leidet, hat er darüber hinaus auch noch ... nein, er trägt keine Päckchen mit sich herum, er schleppt eher einen kompletten Hausstand an psychologischen Problemen mit sich herum. Glass ist eigentlich Psychologe (Wunder über Wunder), und hat nach einer fulminanten Karriere eine falsche Diagnose gestellt, woraufhin ein Psychopath entlassen wurde und noch am selben Abend seine Frau und seine Kinder massakrierte. Übrigen waren das besagte Nichten unseres aktuellen Psychopathen. Außerdem hat Solly letztes Jahr die Liebe seines Lebens erschossen, eine Staatsanwältin. Er wusste natürlich nicht, dass sie es war, sondern hat einen Serienmörder stellen wollen. Der Arme. Solly macht das natürlich mit sich allein aus, überhaupt weiß eigentlich niemand so richtig was über ihn und auch dem Leser wird es bis zum Ende des Buchs so gehen. Bis zur letzten Seite ergeht man sich maximal in Andeutungen über Solly oder er macht irgendwas und ich als Leser denk mir nur "Häh?" (meine Lieblingsszene hier: als Solly sich die Hand in der Autotür einklemmt, mehrfach - warum auch immer). Diese ausgefeilte Figurenzeichnung zieht sich wirklich durch den Roman - Psychopathen erkennt man übrigens am irren Blick, am emotionslosen Starren und daran, dass sie Mäuse töten können.

Wären nicht schon die Figuren flach wie die Nordsee bei Ebbe, würde mich vor allem stören, wie wenig ausgereift die realen Hintergründe sind. In einem Fall, in dem klar ist, dass demnächst eine Selbstmordaufforderung ins Haus flattert an eine in einer emotionalen Extremsituation steckende Frau - was wird die Polizei da tun? Psychologische Beratung ins Haus schicken? Aber nicht doch. Die einzige psychologische Betreuung ist Sollys Vorschlag "Sie könnten ihre Frau zur Beobachtung einweisen lassen" an einen emotional ebenso aufgeworfenen und nebenbei grade der Lüge überführten Mann (wozu lügt der überhaupt? Im Buch spielt das keine Rolle mehr). Perfekt, das ist doch Service. Kombiniert wird das Ganze mit einem Sammelsurium an pseudotiefsinnigen Betrachtungen über Gut und Böse, die so belanglos daherkommen wie ein Kochrezept. Aber wenigstens kann man dazu betroffen nicken und "schlimm, schlimm" murmeln. Aber will ich das vonh einem Buch?

Um die Ausgangsfrage zu beantworten: ich glaube, was die beiden gefrühstückt haben, war ein Clown. Der war allerdings schon leicht verdorben und hat zu Blähungen geführt. Aber muss man die dann zwischen Buchdeckel pressen? Darüber kann man nur philosophieren ...

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