Jon Krakauer hat mein Herz als Reportagen-Leser erobert mit seinem Buch "In eisige Höhen", zu dem ich auch irgendwann mal eine Rezension schreiben werde. Ich schätze seine klare Sprache und dass er sich als Autor durchaus auch mal im Buch zu Wort meldet. Darüber hinaus recherchiert er sehr sorgfältig und ich halte seine Bücher für einige der gehaltvollsten Reportagen, die auf dem Markt erhältlich sind. "Mord im Auftrag Gottes" habe ich schon vor einigen Jahren gelesen und jetzt, grade auch angesichts der Vorwahlen zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen, noch einmal. Erstaunlicherweise bin ich grade nicht mehr ganz so begeistert von dem Buch wie ich es noch vor ein paar Jahren gewesen bin - nichtsdestotrotz ist ist es wirklich gut.
Der Titel weckt ein wenig irritierende Assoziationene - religiösen Fundamentalismus assoziieren die meisten Post-9/11-Leser einfach automnatisch mit islamistischem Fundamentalismus und vermutlich war das auch einer der Auslöser für das Buch. Tatsächlich kreist das Buch aber um eine ganz andere Form von religiösem Fundamentalismus, der in den USA bis heute sehr präsent ist, ohne wirklich groß thematisiert zu werden, nämlich den Fundamentalisten der Kirche der Heiligen der Letzten Tage, oder anders gesagt, es geht um fundamentalistische Mormonen. Diese Gruppierungen (denn untereinander sind die meisten Fundamentalisten extrem zerstritten und spalten sich immer mehr von einander ab) frönen auch heute noch einigen Bräuchen, die der Religionsgründer Joseph Smith jr. tatsächlich als Weissagungen erlassen hat, die aber von der offiziellen Kirch inzwischen abgelegt wurden. Am wichtigsten ist dabei die Praktizierung der Polygamie, es gibt fundamentalistische Mormonen mit bis zu dreißig Ehefrauen und dementsprechend vielen Kindern.
Krakauer nimmt den Leser mit in diese völlig irritierend wirkende Lebenswelt von Menschen, die nicht einfach nur streng religiös sind. Ein wichtiger Basisstein der Mormonen ist der Glaube daran, dass jeder Mensch Offenbarungen von Gott erfahren und dadurch Prophet werden kann. Genau das geschah auch 1984 mit Ron Lafferty, dem offenbart wurde, dass er seine Schwägerin und seine zweijährige Nichte ermorden muss, da diese mit ihrer anti-fundamentalistischen Lebenseinstellung seine Familie zerstört haben würde. Nicht nur das Gericht im Mordprozess gegen Ron Lafferty, auch der Leser steht vor der Frage: wie geht man mit so jemandem um? Einfach den Stempel "geistesgestört" auftragen und damit hat es sich? Krakauer versucht zu ergründen, warum Menschen wie Lafferty auch heute noch exisiteren, in einer Welt in der die Wissenschaft regiert. Warum und wie es geschehen kann, dass Religion zum Auslöser für Morde wird. Und er gibt eine Einführung in die Glaubensgrundsätze und Geschichte einer ehrlich gesagt sehr faszinierenden Religion, denn wie er selbst sagt: im gegensatz zu den großen Weltreligionen sind die Mormonen eine absolut junge Religion, deren kometenhafter Aufstieg kaum erklärbar ist. Man erfährt über den Religionsgründer Joseph Smith, seine Nachfolger und die Streitigkeiten innerhalb der Glaubensgemeinschaft gerade in Bezug auf die von außen immer abgelehnte Polygamie.
Ich finde das Buch wirklich empfehlenswert, allerdings ist es auch - was mir jetzt beim lesen wieder klar geworden ist - sehr sperrig. Krakauer wechselt ständig zwischen den Zeitebenen, ist mal in der Gegenwart, mal in der näheren und ferneren Vergangenheit. Grade die Unüberschaubarkeit der Fundamentalisten, in denen sich die immer gleichen Familiennamen wiederfinden, hat bei mir immer wieder die Frage "Wer ist der denn nochmal?" ausgelöst. Es ist ein Buch zum langsamen Lesen, das allerdings eine Fülle an Informationen bietet, die gut präsentiert werden und sorgfältig recherchiert sind.
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