Montag, 25. Juni 2012

Ferdinand von Schirach - Der Fall Collini



ACHTUNG, BESPRECHUNG OHNE SPOILER NICHT MÖGLICH!!!!

Lebt man mit einem Juristen zusammen, dann gibt es ein paar Autoren, an denen man irgendwann nicht vorbeikommt, weil selbst der nichtlesende Gemahl zumindest sehen will, was ein Jurist an Literatur zu schreiben befähigt ist. Im Klartext heißt das, dass mein Mann dafür zuständig ist, unseren Bücherschrank zu bestücken mit Autoren wie Bernhard Schlink oder eben Ferdinand von Schirach - aus rein beruflichem Interesse, versteht sich. Beides sind Autoren, deren ich Bücher ich für ganz okay halte, die aber immer ein bisschen daran kranken, dass mir ihre Erzählsprache nicht gefällt. Und besonders bei "Der Fall Collini" fand ich es wirklich, wirklich übel. Die anderen beiden Schirach-Bücher sind kurze Geschichten, das ist okay, mit "Der Fall Collini" hat er seinen ersten Roman vorgelegt und ich finde, der ist ziemlich danebne gegangen.

Fabrizio Collini ist der Name des Mandanten, dem der junge Strafrechtsverteidiger Caspar Leinen als Pflichtverteidiger zugewiesen wird. Collini hat den 85jährigen Hans Meyer in einem Hotelzimmer erschlagen und sich der Polizei gestellt, äußert sich aber weder zur Tat noch zu seinen Motiven. Eine undankbare Aufgabe, die Leinen da bekommt, noch undankbarer, als er feststellen muss, dass es sich beim Mordopfer um seinen "Ersatz-Vater" aus Kindertagen handelte. Dennoch übernimmt er das Mandat und versucht zu ergründen, welche Motive der italienische Gastarbeiter hatte.

Um es kurz zu machen - natürlich steckt das Motiv im Zweiten Weltkrieg. Hans Meyer war damals SS-Offizier und leitete eine Partisanen-Erschießung, bei der auch Collinis Vater ermordet wurde. In den Sechziger Jahren stellte Collini einen Strafantrag gegen Meyer, das Verfahren wurde aber abgelehtn, da die Tat bereits verjährt war. Und damit sind wir beim eigentlichen Beweggrund des Buchs, Schirach möchte einen völlig unbemerkten Justiz-Skandal des Jahres 1961 anprangern. Damals wurde nämlich in einem unbedeutenden Unterartikel des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG) quasi in einem Nebensatz eine Generalamnestie für sämtliche Schreibtischtäter des Nationalsozialismus durchführte - deren Taten galten plötzlich als seit 1960 verjährt (und wenn man bedenkt, dass die wirkliche gerichtliche Aufarbeitung dieser Tätergruppe erst damals allmählich eingeleitet wurde, kann man sich vorstellen, wie Staatsanwälte und andere getobt haben, als sie das mitbekamen ... ) Diesen Justizskandal, aners kann man es nicht nennen, will Schirach wieder ins Leben rufen, allerdings finde ich irgendwie ... er schafft es einfach nicht. Der Roman plätschert zunächst einmal dahin, Caspar leidet und liebt, von Collini erfährt man erstmal so gar nichts, und dann fährt Leinen in einer Verhandlungspause einfach mal zum Staatsarchiv Ludwigsburg, in dem die Akten aus den Entnazifizierungsverfahren gelagert sind. Warum er das tut? Keine Ahnung. Entweder, ich habe es überlesen, oder es haben Seiten gefehlt, oder Schirach schreibt es tatsächlich nicht. Und so geeht es mir immer wieder im Buch. Ständig habe ich das Gefühl, beim Lesen etwas nicht mitbekommen zu haben, mir werden Entdeckungen vorenthalten, um sie dann mit Knalleffekt aus den Seiten zaubern zu können, und dann stehe ich am Ende da und bin irgendwie nicht bereit, tatsächlich Wut über diesen Skandal zu empfinden, sondern habe ihn zur Kenntnis genommen, so wie ich irgendwann einfach alles in diesem Buch einfach nur zur Kenntnis genommen habe.

Das Buch hätte wichtig werden können. Hätte mich aufrütteln können. Aber es krankt einfach daran, dass Ferdinand von Schirach einfach nicht der für mich fesselnde Erzähler ist, dem ich bereitwillig folge.

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