Hilla Palm, das Arbeiterkind aus Dondorf am Rhein, ist erwachsen geworden. Inzwischen studiert sie dank des Honeffer Modells in Köln Germanistik, lebt in einem gut-katholischen Studentinnenwohnheim und ist im Haus ihrer Eltern nur noch zu Besuch. Während sie immer tiefer in die Sprache eindringt, sie auseinandernimmt, neu formt, eine neue Welt entdeckt, verliert sie ganz allmählich die Erinnerung an die Nacht auf der Lichtung, in der sie vergewaltigt wurde. Und dann, in ihrem ersten Karneval so ganz ohne Eltern lernt sie, als Raupe verkleidet, ihren Käfer kennen: Hugo. Germanistikstudent wie sie, aber dank des Namens Breidenbach sehr schnell zuordenbar. Alter Kölscher Geldadel, der der potentiellen Schwiegertochter von Anfang an mit Abneigung begegnet ...
Uff, da habe ich mir was angetan. Ich habe "Das verborgene Wort" und auch den Folgeband "Aufbruch" sehr gerne gelesen und mich gefreut, als ich endlich den dritten Teil bekommen habe. Mit Hilla erwachsen zu werden und ihren Weg zu verfolgen, ist eine Herausforderung im dritten Band, denn hier ist allmählich die erwachsene Hilla (und damit auch die erwachsene Ulla Hahn) zu spüren. Diejenige, die die Sprache liebt und verehrt, die sich Gedanken macht über Dinge, die sonst nie gesagt werden. Das Buch ist angereichert mit einer Vielzahl an Exkursen, so habe ich z.B. mal eben Ezra Pound kennengelernt und für interessant befunden, und einigen Gedichten von Ulla Hahn, die unmittelbar Bezug nehmen auf die geschilderten Szenen und dadurch das Spiel mit der Realität eines autobiographisch gefärbten fiktionalen Texts noch weiterführen. Zum Teil muss ich gestehen, habe ich einfach nur genossen und mein Hirn wenig angestrengt beim Lesen, dabei ist gerade dieser literarische Input echtes Hirnfutter und erfordert aufmerksameres Lesen - während man sich im ersten Band noch ziemlich zurücklehnen konnte.
Darüber hinaus ist das Buch aber vor allem Zeitgeschichte. Hilla ist eine Studentin der 68er, sie stolpert durch die Politisierung des Alltags und die Befreiung der Sexualität, ohne selbst genau zu wissen, wo sie sich einordnen soll und will und muss. Während Hilla im ersten Band die Konfrontation zwischen Elternhaus und Umwelt erlebte, ist es hier die Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Wertesystem, das mit dem der Sechziger konfrontiert wird. Sei es die Frage nach Verhütung oder danach, wie stark man selbst zum Mitläufer mutiert, wenn man eigentlich nur Gefallen tun will - Hillas eigene Orientierung nach links geschieht letztlich mehr zufällig als durch Überzeugung, was sich dann in der Geschichte des Germanistik-Professors Gerhard Fricke gegenspiegelt. Für mich war es faszinierend, in diese Zeit einzutauchen und Hilla auch hier zu folgen, mit ihr zu treiben und einen Weg in diesem Spiel zu finden.
Das Buch war eine Herausforderung. Aber eine absolut positive, nach der ich mich in diesem Jahr geradezu gesehnt habe. Lest es!
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