Montag, 16. Dezember 2013

Lucinda Riley - Das Orchideenhaus

Achtung, die folgende Rezension enhält diverse Spoiler!!!

Ich hatte am Wochenende sehr viel Zeit, denn schließlich nahen die Ferien, und so dachte ich, ich greife doch endlich mal zu einem Buch vom SUB und sorge für seinen Abbau. Auf Krimis hatte ich keine Lust, auf hohe Literatur auch nicht, also ein Roman, der seit fast zwei Jahren bei mir liegt und den ich immer in der Hand hatte, dann aber doch wieder weggelegt habe. Ich muss eine Vorahnung gehabt haben, dass das Schicksal der dunkelgelockten mandeläugigen Julia Forrester nicht so das Wahre ist. Doch der Reihe nach.

Wir begegnen am Anfang des Romans einer gebrochenen Julia. Einsatz tragische Klaviermusik  Warum sie gebrochen ist, erfahren wir nicht so richtig, irgendwie aus dem Zusammenhang schließen wir, dass jemand in ihrer näheren Verwandtschaft gestorben sein muss. Deshalb wohnt Julia jetzt in einem zugigen Cottage - das aber als Ferienhaus vermietet wurde - irgendwo in England. Ihre Schwester Alicia kümmert sich rührend um sie und päppelt sie, ganz wie es die "große-Schwestern"-Tradition will, hoch. Deshalb fährt sie mit Julia auch nach Wharton Park. Dort lebten ihre Großeltern Elsie und Bill, der als Gärtner für die Orchideenzucht der Hausherrin verantwortlich war. Die beiden Schwestern hatten früher die Ferien dort verbracht, aber nur Julia hatte wirklichen Bezug zu ihrem Großvater und seinen Blumen. Doch nun wird das Anwesen verkauft und die Inneneinrichtung versteigert - ideale Möglichkeit, ein Geburtstagsgeschenk für den Vater zu finden. Alicia erwirbt eine Vase und Julia trifft auf Kit. Kit, eigentlich Christopher, ist der Besitzer des Anwesens und bereits beim ersten Treffen blinkt das unsichtbare "Achtung, Seelenverwandte!" über die Buchseiten. Klavier nun leicht und beschwingt  Sie mögen sich so sehr, dass Kit kurze Zeit später vor Julias Tür steht, um ihr ein Buch zu überreichen. Das alte Tagebuch fand er bei den Renovierungsarbeiten am Gärtnerhaus unter den Bodendielen - es scheint von Julias Großvater zu stammen. Nun also entbrennen beide in unendlicher Liebe zueinander, die sie sich aber nicht eingestehen. Kit halt so nicht, Julia, weil sie ja immer noch ihren Schicksalsschlag zu verarbeiten hat. Jetzt erfahren wir auch: ihr Mann und ihr Sohn starben vor einem Jahr bei einem Autounfall. Julia hat ihre Karriere als Konzertpianistin nahezu aufgegeben und sich zurückgezogen. Erste tragische Rührung des Lesers vorprogrammiert.

Doch nun ist es erst einmal an der Zeit, die Oma zu besuchen und mit dem Tagebuch zu konfrontieren. Kaum hat Julia deren Haus betreten, plappert die alte Dame auch schon los wie ein Wasserfall und erzählt die Geschichte von Olivia. Olivia ist ein junges Mädchen, das 1939 kurz vor dem Ausbruch des Kriegs in die Gesellschaft eingeführt wird. Ihre Eltern sind Bekannte der Besitzer von Wharton Park und hier lernt Olivia Harry kennen, den Sohn des Hauses. Ach ja, Olivia ist natürlich eine Seele von Emanzipation und Klassenirritation, welch Überraschung. Bitte ein bisschen Swing, nicht zu viel, nur dezent.  Nach einigen Bällen dann treffen sich Olivia und Harry auf einem Ball in Wharton Park wieder und er küsst sie. Olivia entbrennt in Leidenschaft und verbringt den Sommer dort. Immer wieder möglichst dramatische Closeups auf Olivia.  Harry ist sehr distanziert, aber nachdem er dann mit seiner Mutter gesprochen hat, macht er Olivia einen Heiratsantrag, weil sie doch so gut nach Wharton Park passt. Doch das junge Glück erlebt eine Trübung. Zunächst, weil Harry nicht mit seiner inzwischen Angetrauten schlafen will. Und schließlich als Olivia ihn in leidenschaftlicher Umarmung mit einem Dichterfreund trifft. Abspann Lindenstraße!!!  Ich sollte erwähnen, dass man diese Entwicklung ab Auftreten des Dichterfreundes bereits vor sich sieht. Aber nun gut, zunächst schmollt Olivia, bis Harry dann am Strand eine großartige Beichte ablegt, die mit "ich bin nicht schwul, nein, ich wollte testen, ob ich tatsächlich nicht schwul bin!" zusammengefasst werden kann. Olivia wird daraufhin schwanger, Krieg bricht aus, Harry kommt zum Militär. All dies, nebst sämtlicher Gefühlslagen Olivias erfahren wir also aus dem Mund von Julias Oma - wieso? Hätte Kit nicht einfach Olivias Tagebuch finden können? Aber dann hätte man ja nicht die Oma nach zehn Jahren mal besuchen fahren können.

Meine Lieblingsstelle folgt jedoch erst jetzt. Oma will nicht weitererzählen, weil sie erst das Tagebuch lesen will - aber sie verrät schonmal, dass es ein Familiengeheimnis gibt, das nicht nur Julias Familie betrifft. Huch, wer könnte da nur in Frage kommen? Julia fährt nach Hause und von einer Sekunde auf die andere erkrankt die Arme an der schwersten Grippe aller Zeiten. Kit steht plötzlich im Cottage. Die Szene ist wirklich genial! Wie würdet ihr reagieren, wenn ein quasi Fremder plötzlich in eurem Haus stünde? Klar, ihn zum Bleiben einladen! Also pflegt Kit Julia aufopferungsvollst und wird vom Arzt tüchtig gelobt. Dieses Gespräch wirkt wie direkt aus dem "Kleinen Lord" reinkopiert vor lauter "Eure Lordschaft" hier und "Sir" da. Und nun entbrennt auch Julia in Liebe. Doch kurze Zeit später sieht sie ihren Angebeteten mit einer Hochschwangeren. SchockschwerenotSteigerung der dramatischen Musik, Zoom auf Julias entsetztes Gesicht! Aber nein, es ist nur ein Missverständnis. Es ist nur eine alte Freundin, der Kit "ich rette sie alle" beisteht. Übrigens, auch Kit hat bereits jemanden verloren, seine drogensüchtige Exfreundin, um die er sich aufopferungsvoll kümmerte, dafür sein Studium der Medizin vernachlässigte Einsatz der Geígen!  woraufhin er nach ihrem tragischen Tod als Retter um die Welt zog, nepalesischen Waisen das Lesen beibrachte, Brunnen grub und ein Heilmittel gegen Aids entwickelte  Ein so guter Mensch muss einfach belohnt werden und so zieht Julia bei ihm ein in Wharton Park. Das steht immer noch zum Verkauf und bröckelt so vor sich hin. Aber hey, beide fühlen sich dem Gebäude soooooooooooooooo verbunden!

Mach belanglosem "allmählich öffne ich mich einem anderen Mann"-Seiten taucht endlich Oma wieder auf und erzählt nahtlos weiter. Der Krieg ist vorbei. Harry sitzt in Thailand, wo er sich von der Kriegsgefangenschaft erholt. Und er trifft Lidia. Lidia, die junge Thailänderin, seine große Liebe. Hier bitte wieder Geigen, aber mehr lieblich.  Harry wird Buddhist, Harry lernt Orchideen kennen und Harry will Lidia heiraten - aber ach, er ist gebunden! Welche Tragik! Also fährt er nach England und will Papi vor vollendete Tatsachen stellen. Adieu, Herrenhauserbe. Adieu, England. Adieu, Olivia. Ich bleib in Thailand. Gut, könnte man auch brieflich vorankündigen, aber dann entfällt doch die dramatische Überraschung zu Hause. Denn der Plan klappt nicht so ganz. Papi ist todkrank, der einzige potentielle Erbe erst zwei Jahre alt - und so leidet Harry lieber vor sich hin und schreibt reizende Briefe nach Bangkok. Bis diese nicht mehr beantwortet werden, weil Lidia verschwunden ist. Der kluge Leser rechnet an dieser Stelle die vergangenen Monate nicht nach, um sich die Überraschung zu erhalten!  Also wird Bill, der Wundergärtner nach Thailand geschickt, die verschwundene Geliebte zu finden. Und Blumenzwiebeln zu kaufen, kein Witz. Er findet nicht nur eine gar seltene Orchidee, sondern auch Lidia, die grade ein Kind entbunden hat und vermutlich im Sterben liegt. *zack* schon fährt er mit dem Kind im Gepäck zurück nach England, Elsie ist total begeistert - Bill kann nämlich keine Kinder zeugen - und Olivia bekommt die ganze Geschichte raus. Ihr erstes Kind hat sie verloren, das zweite Kind stirbt kurz nach der Geburt und als lauter Frust und Wut hat sie nie wieder Sex mit Harry. Der übrigens nichts von seinem Kind im Gärtnerhaus ahnt und dann mit Ende 40 stirbt. Erneuter Closeup auf Julias Gesicht!  Oho, welch Überraschung! Julia, die Tochter des unehelichen Kindes, ist die wahre Erbin des alten Kastens. Na bloß gut, dass Kit sie sich geangelt hat!

Aber halt, treuer Leser, noch liegen 150 Seiten Buch vor dir. Was könnte hier denn noch geschehen? Weitere dramatische Verwicklungen? So ungefähr. Oma Elsie teilt Julias Vater dann doch mal mit, dass ihre Tochter Jasemine nicht ihre Tochter war, der Vater nimmt es ... auf. Und wieder verabschiedet sich die Oma mit der Andeutung eines düsteren Familiengeheimnisses. (Julias Schwester ist adoptiert, hat also kein Anrecht auf Wharton Park) Ich sehe vor meinem inneren Augen bereits Raben, die sie umflattern, und den Sturmwind, der ihr Kleid aufbauscht ... Julia fährt erstmal nach Frankreich. Weil es jetzt an der Zeit ist, sich endlich mal mit dem Tod von Mann und Kind zu beschäftigen und das Haus zu verkaufen. Da sitzt sie jetzt also, als die Terrassentür sich öffnet und ....

Preisfrage: Was könnte nun geschehen?

a) Kit steht im Raum und entpuppt sich - den Andeutungen in der Krankenszene folgend - als frauenmordender Psychopath
b) die thailändische Oma kommt rein und Julia erfährt, dass sie außerdem die Enkelin des thailändischen Königs ist
c) ihr toter Ehemann steht im Zimmer, weil er gar nicht gestorben ist, sondern sich ein Jahr lang auf einer Apfelplantage in Italien aufgehalten hat

Die korrekte Lösung lautet: c. Der gefeierte Pianist Xavier kehrt zurück. Der Sohn ist leider immer noch tot und im Autowrack verbrannt, aber Xavier hat überlebt. Von Gram gebeugt, weil er den Unfall verursachte, versteckte er sich vor der Welt in Italien. Doch nun, genesen von allen körperlichen und seelischen Wunden, ist er wieder da, beruft eine Pressekonferenz ein und macht mit Julia im trauten Familienleben weiter. Ja, wie, fragt sich der Leser, und was ist mit Kit? Der edle Engländer gibt Julia frei. Ganz ohne Gespräch, denn er reagiert einfach nicht auf ihre Anrufe. Zicke! Julia ist irgendwie ... halt in Frankreich und lässt Xavier dann über sich rüberrutschen, weil sie ja verheiratet sind und so und überhaupt ... Fehlt euch da eine Emotion? So was wie Wut, weil sich dein Mann ein Jahr nicht bei dir meldet? Oder blanker Hass dafür, dass er seinen Tod vorgetäuscht hat? Doch nicht bei Julia. Zum Glück entpuppt sich der lebende Tote als egoistisches, alkoholkrankes Arschloch, das den Unfall im Suff gebaut hat, sodass Julia beruhigt wieder zu Kit zurückkehren könnte. Aber zuerst fliegt sie nach Bangkok, denn inzwischen hat Oma Elsie noch etwas gebeichtet: Lidia ist gar nicht tot, sondern sozusagen eine Brieffreundin von Oma. Also treffen sich Thailandoma und Julia und stellen fest: Ui, wir sehen uns ja total ähnlich! Und weil Julia ihrer Mutter so ähnlich sieht, ist klar, dass auch die aussehen muss wie Lidia. Und jetzt sind wir bei der spannenden Frage: wieso kam weder Lidia noch irgendjemand in Wharton Place auf die Idee, dass Lidia vielleicht nicht die Tochter von Elsie und Bill ist, wenn sie so thailändisch aussah wie hier glaubhaft versichert wird? Schwamm drüber, Hauptsache, die Thaioma kennt jetzt die Enkelin. Und weil sie so unendlich viel Geld inzwischen hat, kauft sie mal eben Wharton Park und schenkt es Julia und Kit. Ultimate Happy End, großer Geigeneinsatz!!!! 

Das ZDF würde diese Schnulze vermutlich ablehnen. Zu unrealistisch sind die Figuren, zu lächerlich die Story, zu unglaubwürdig das Ende. Selbst Rosamunde-Pilcher-Regisseure haben ihren Stolz. Und ich hoffe, dass Schauspieler sich weigern würden, diese schmalzigen Sätze von sich zu geben, die Lucinda Riley aus der Schreibmaschine getropft sind. Jede Seite des Buchs liegt begraben und einer halben Tonne seufzenden Schleims, die noch dazu fürchterlich schlecht übersetzt wurden. Wenn sogar ich das bemerke, dann will das was heißen!!! Dass bei all dem die Figuren so farblos bleiben wie eine frischgekalkte Wand, und so natürlich reagieren wie eine Kernschmelze ist fast schon erfrischend an diesem Buch.

6 Kommentare:

  1. Ahahaha, beste Rezension EVER!! Ganz großartig.

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  2. Ich kann es nur empfehlen - die letzten dreihundert Seiten liest man nur noch unter dem Aspekt "das kann sie doch nicht Ernst meinen???" :-p

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  3. Herrlich geschrieben! Nein, das Buch will ich nicht lesen, aber die Rezension macht Lust auf mehr von Deinen Kommentaren ;-)

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  4. Aber es ist doch so unglaublich schön, dieses Buch! Diese spektakuläre Rückkehr von den Toten, nachdem sie gerade eine Zypresse auf den Unfallort gepflanzt hat!

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  5. Uahh! Vielen Dank für diese hinreissende Rezension! Ich habe das Buch nicht gelesen, müsste es ob deiner tollen Zusammenfassung aber wirklich mal tun! *lol*

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  6. Da weiss ich wohl jetzt um welches Buch auf meinem SUB ich mich nicht kümmern muss....

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