Freitag, 2. November 2012

T.C.Boyle - Willkommen in Wellville

Es gibt Bücher, die liest man, und selbst wenn man sich absolut nicht mehr an die Handlung erinnert, hat man damit zumindest die Chance, Faktenwissen zu sammeln, sollte man jemand vor Günther Jauch sitzen und die 500.000-Euro-Frage beantworten müssen. „Willkommen in Wellville“ gehört zu diesen Büchern, präsentiert das aber auch noch in einer gekonnten absurden, fiesen und unglaublichen Geschichte verpackt, die nur das Leben so ähnlich schreiben konnte.
Wir schreiben die Jahrhundertwende. Tief im Nirgendwo Michigans, in der „Müslischüssel er USA“ hat Dr. Harvey Kellogg, Gesundheitsapostel der Reichen und nicht mehr ganz so Schönen, seinen Traum wahrgemacht: eine Klinik, in der seine Patienten nach individuellen Therapien behandelt werden und alle Wehwehchen, insbesondere aber störende Pfunde, loswerden. Die Kunden des Sanatoriums sind gutbetucht und in den meisten Fällen willig, eine Behandlung über sich ergehen zu lassen, die einen kräftigen Magen, Durchhaltewillen und eiserne Disziplin erfordert. So auch Eleanor Lightbody, die sich von "Neurasthenie" und "Symptomitis" erholen will. Im Schlepptau hat sie ihren Ehemann Will, einen der schlimmsten Fälle von "Autointoxikation". Der ausgemergelte New Yorker leidet an einem verkorksten Magen, seit seine Frau versucht hat, seine Trinksucht mit "Sears White Star Alkoholentziehungskur" in den Griff zu bekommen. Einer reinen Opiumtinktur, wie sich herausstellte! Aber das Paradies ist im Umbruch, skrupellose Geschäftemacher versuchen, auf Kellogs Gesundheitsschiene aufzuspringen und die Formen für Frühstücksflocken sprießen aus dem Boden. So auch die des Jungunternehmers Charles Ossining, der arglosen Anlegern Geld abgeschwatzt hat, um es in eine marode Firma zu stecken, sobald natürlich ein Firmengebäude existiert …
Boyle ist in diesem Roman sarkastisch wie nie, deutlich wie nie und unterhaltsam wie in den meisten anderen Büchern. Der Ausflug in die sonderbare Welt des Dr.Kellog – nur um es zu betonen, diese Sanatorium einschließlich der dort praktizierten Therapien existierte wirklich, Kellog hat wirklich die Cornflakes und die Erdnussbutter erfunden, als ein Diätessen, und er und seine Frau adoptierten wirklich eine Unzahl an Kindern die alle streng vegetarisch und nach Kellogs Diätplänen ernährt wurden – lässt den Leser fassungslos zurück und reizt dennoch immer wieder zum Lachen und Wundern. Die Handlungsstränge sind großartig miteinander verwebt und laufen auch zum Ende hin nicht einfach franserig aus, sondern werden wirklich zum Punkt hin erzählt. Das führt zwar auch zu gelegentlichen Längen, aber im Großen und Ganzen ist das ein perfekter Roman.

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