Die achtjährige Jean Louise Finch, Scout genannt, wächst mit ihrem Bruder Jem im Alabama der Dreißiger auf. Ihr verwitweter Vater Atticus, Anwalt und Angehöriger einer alteingesessenen Südstaatenfamilie, versucht, den beiden Kindern Gerechtigkeitssinn und Unvoreingenommenheit mit auf den Weg zu geben. Doch das kleine Städtchen Maycombe ist nicht unbedingt dafür geeignet, Vorurteile abzubauen. Das wird vor allem klar, als Atticus die Pflichtverteidigung für einen Schwarzen übernimmt, der beschuldigt wird, ein weißes Mädchen vergewaltigt zu haben ...
Ich hatte schon seit ein paar Wochen das Bedürfnis, mal wieder "Wer die Nachtigall stört ..." zu lesen, es aber immer zur Seite geschoben. Als dann aber letzte Woche mein bester Freund in einer Email davon sprach (manchmal haben wir so Fälle von literarischer Gedankenübertragung), bin ich zum Regal geeilt und habe das Buch direkt auf meinen Nachttisch gepackt. Und so hat es nur drei Tage gedauert, bis ich die vierhundert Seiten gepackt hatte. Besagter Freund ist Lehrer an einer High School in den USA und eine seiner Klassen liest es grade im Unterricht - perfekte Gelegenheit also, mich wieder mit dem Buch zu beschäftigen und den ein oder anderen Denkanstoß zu kriegen.
"Wer die Nachtigall stört" ist nicht zuletzt deshalb ein Klassiker geworden, weil die Geschichte in sehr simplen Worten erzählt wird. Ganz konsequent wird die Sichtweise einer Achtjährigen nicht durchgehalten, mitunter wirkt Scout schon sehr altklug. Andererseits hilft das dem Leser auch, bei der Stange zu bleiben und es nicht als eine Kindergeschichte abzutun. Das allmähliche Erwachsenwerden von Jem, das wir durch den Roman begleiten, und die Entfremdung der beiden Geschwister voneinander, sind die tragenden Elemente, die mir beim ersten Lesen noch gar nicht so sehr aufgefallen waren. Letztlich ist das Bcuh ein allmähliches Aufwachen aus einer serh behüteten Kindheit, in die immer wieder - auch schon vor dem Prozess, der eigentlich erst nach etwa hundert Seiten erstmals thematisiert wird - Alltagsrassismus einbricht. Nicht nur einbric ht,e s ist immer wieder auch faszinierend für mich, wie geprägt letztlich Scout und Jem ebenfalls sind, wie viele Vorurteile die beiden doch mit sich tragen und kaum hinterfragen. Bei Jem setzt dieses Denken dann ein, bei Scout noch nicht - das macht die Figuren sehr faszinierend.
Woran ih mich beim Buch noch weniger erinnert habe, war die Tatsache, dass es eigentlich eher eine sammlung von Kurzepisoden ist, die nur lose verbunden sind. Der Prozess spielt eine untergeordnete Rolle, es ist eher eine Lose-Blatt-Sammlung von Erinnerungen an eine Kindheit im Süden. Wenn man den ROman unter diesem Aspekt liest statt unter dem des Anti-Rassismus-Klassikers, finden hier völlig neue Ideen statt. Immer wieder werden hier Nachtigallen gestört, werden also zarte Ideen niedergeknüppelt oder Dinge einem Ziel geopfert, dessen Endergebnis man nicth absehen kann oder man höher einschätzt. Immer wieder werden Leute desillusioniert. Sei es Scouts Lehrerin in der ersten Klasse, die erkennen muss, dass nicht jedem Kind geholfen werden kann, sei es Scouts und Jems Freund Dill, dessen traum von einer idyllischen Familienwelt druch zwei Eltern gestört wird, die ds Kind aus ihrer Beziehung heraushalten. Sei es auch Atticus, der erkennen muss, dass der Rechtsstat Grenzen hat, die kein noch so guter Anwalt niederreißen kann. Die Geschichte ist eine Desllusionierung und weniger ein Glaube an das Gute im Menschen, da kann nicht einmal Boo Radley, der geheimbisvolle Nachbar, helfen, von dem man das Schlimmste annimmt, dann aber das Beste erhält.
Ich bin froh, die Chance wieder mal bekommen zu haben, das Buch zu lesen - es ist rührend, faszinierend, erschreckend und so viel mehr. Und wer es noch nicht glesen hat, sollte das spätestens jetzt mal nachholen :-)
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