Freitag, 17. August 2012

Truman Capote - Kaltblütig


Ihr ahnt es vielleicht schon, ich bin grade – mangels Lesezeit vor den Ferien – dabei, meine Rezensionen vor allem auf schon länger zurückliegende Bücher auszudehnen. Da die zum Teil aus meiner Leseliste von 2008 stammen, kann ich mich dabei eigentlich nur auf die Bücher berufen, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Und die sind entweder sehr, sehr, sehr gut oder sehr, sehr, sehr mies. Deshalb müsst ihr euch vermutlich in nächster Zeit an den dauergrinsenden Smilie im Buchbild gewöhnen ;-)
Truman Capote gilt als Begründer der True-Crime-Literatur und bis heute ist „Kaltblütig“ eines der Bücher, an denen sich dieses Genre messen lassen muss. Die Handlung ist schnell erzählt: eine Kleinstadt irgendwo in den Weizenfeldern von Kansas wird eines Tages aus ihrem ruhigen Leben gerissen, als die Leichen der Familie Clutter auf ihrer Farm gefunden werden. Vater, Mutter, Sohn und Tochter wurden bestialisch ermordet – und das alles wegen 40 Dollar und einem Radio. Denn mehr hat der Täter bei diesem Raubüberfall nicht erbeutet. Die Polizei tappt im Dunkeln und – diese Spekulation stammt von mir – ist vermutlich nicht allzu begeistert, als der exzentrische Schriftsteller Truman Capote auftaucht, der sich in den Kopf gesetzt hat, über diesen Fall einen Tatsachenroman zu schreiben. Erst nach fast einem Jahr werden die beiden Täter verhaftet, zwei junge Männer Anfang 20, die letztendlich hingerichtet werden.
Was mich an dem Buch so begeistert? Capote nimmt sich als Erzähler völlig zurück, auch wenn er recherchiert hat, da ist kein „Ich“ im Buch, das dem Leser etwas vorgibt. Stattdessen spielt Capote im wahrsten Sinne des Wortes Kamera, er nimmt den Leser mit auf seine Recherche und er bleibt bis zum Ende dabei. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn das Buch endet nicht wie ein krimi mit der Ergreifung der Täter, sondern geht weiter, behandelt die Zeit der Verhandlung, der Wiederaufnahme, des ungewissen „Wie geht’s jetzt weiter?“ vor der Hinrichtung, bis er am Ende selbst die Hinrichtung in allen Details schildert. Er rekonstruiert die Tat in aller Grausamkeit, er macht keinen Halt davor, selbst die toten Clutters im Sarg zu beschreiben – gemessen an seiner Entstehungszeit ist „Kaltblütig“ ein knallhartes Buch. Capotes Sprache fesselt und irgendwann versteht man als Leser auch, warum ihn dieses Werk nicht losgelassen hat, warum er danach so lange nichts mehr veröffentlichen konnte – weil er seine gesamte Energie, sein gesamtes Wesen darauf fixiert hatte, hinter die Frage aller Fragen zu kommen: warum wird ein Mensch zum Mörder?
Das Buch beantwortet diese Frage nicht einfach. Es liefert Ansätze, um zu verstehen. Es gibt keine Position vor und erwartet dennoch vom Leser, Stellung zu beziehen. Es ist leicht zu lesen und schwer zu verdauen – und deshalb ein brillantes Buch.

2 Kommentare:

  1. Kann dem Smilie nur zustimmen. Habe es auch gelesen und war angetan. Absolute Empfehlung.

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  2. Oh, ich habe mich etwas schwer getan mit dem Buch, aber erschreckend und packend ist es allemal.

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