Dienstag, 24. Mai 2011

Jed Rubenfeld - The Interpretation of Murder

New York, im Jahr 1909. Dr.Siegmund Freud reist von Wien nach Amerika, um seine bahnbrechenden Theorien zur Psychoanalyse auch in der neuen Welt bekannt zu machen. Dort angekommen, wird er vom Bürgermeister der Stadt gebeten, der Polizei in einem brisanten Fall beizustehen: Nora, eine siebzehnjährige Debütantin der High Society, wurde im Hause ihrer Eltern überfallen und in einem sadistischen Ritual ausgepeitscht, der Täter flüchtete jedoch, bevor er sie - wie kurz zuvor ein anderes Mädchen - erwürgen konnte. Nora hat ihre Stimme, vor allem aber ihr Gedächtnis verloren - wäre das nicht die Gelegenheit, die Hilfe der Psychoanalyse zu bestätigen? Freud überlässt den Fall seinem amerikanischen Schüler Stratham Younger, der schon bald in die sado-masochistischen Abgründer der Upper Class eintaucht...
Freud war 1909 tatsächlich in den USA und, was ich an dem Buch großartig finde, Rubenfeld gelingt es einfach immer wieer, die tatsächlichen Ereignisse (die Anfeindungen gegen Freund von amerikanischen Psychiatern, die allmähliche Entfremdung zwischen Freud und seinem großen Schüler Carl Jung, reale Morde und Aufreger in New York) mit seinem erfunden Fall zu kombinieren und zu verketten, dass man als Leser immer am Ball bleibt, selbst dann, wenn er einfach nur über Brückenkonstruktionen spricht. Hier gelingt ihm nicht nur ein Zeitgemälde, sondern auch ein Sittengemälde, das seinen Höhepunkt in der überrasachenden, dennoch überzeugenden Auflösung findet.
Hier allerdings muss ich ein klein wenig Abzüge in der B-Note verteilen. Ja, Krimis haben immer das Problem, dass der Autor den Täter ja von Anfang an kennt und dann konsequent die Hinweise auf den Mörder einfließen lassen kann. Aber dadurch, dass wir hier ein Buch haben, dass sich zur Aufgabe gemacht hat, psychoanalytische Theorien - Ödipus-Komplex und Kastrationsangst - zum Aufklärungs- und Antriebsmotor zu machen, tappt man als Leser wirklich nicht im Dunkeln. Gut, ein bisschen was ist anders, als man vermutet, aber letztlich ist keine der Schlussfolgerungen überraschend für den Leser, wenn er erst kurz vorher die Theorie geleden hat und dann eine 1:1-Übersetzung der Theorie hat ohne jede Abweichung. Wir haben es hier quasi mit einer klinischen Studie zu tun, die ind er Realität sicher nicht so schwarz-weiß wäre.
Das wird aber wettgemacht von den Personen, die sich im Buch tummeln. Historische Romane laufen ja oft Gefahr, nur noch Name-Dropping zu betreiben - nach dem Motto "Ach, der hat damals auch gelebt, den nehm ich jetzt noch mit rein" - aber Rubenfeld vermeidet das sehr gut. Er hat genau so viele historische Figuren wie notwendig sind, um ein reales Umfeld zu schaffen und gleichzeitig so viele erfundene Charaktere, dass man nicht Gefahr läuft, das ganze mit einem Sachbuch zu verwechseln.

Fazit: ein gelungenes Buch, das eine interessante Einführung in die Geschichte und Theorie der Psychoanalyse bietet und genug Spannung beinhaltet, um nicht abschalten zu lassen ;-)

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