Am Morgen wacht Iwan Denissowitsch auf, wartet auf den Weckdienst, geht gemeinsam mit seiner Gruppe zum Essen, geht gemeinsam mit ihnn zur Arbeit, geht gemeinsam mit ihnen zurück in die Baracke, geht gemeinsam mit ihnen schlafen. So ist jeder einzelne Tag im Gulag, in dem Iwan Denissowitsch wegen Vaterlandverrats sitzt. Als Überlebender der Kriegsgefangenschaft gilt er als Spion und wurde in einer der vielen Aktionen verhaftet und im Schnellverfahren verurteilt. Immerhin nur zu zehn Jahren, die nach ihm schon für zwanzig für dasselbe Vergehen. Dreitausendsechshundertdreiundfünzig Tage werden so vergehen.
Alexander Solschenizyn weiß, wovon er schreibt, denn er selbst war ebenfalls im Gulag, anschließend in der Verbannung, dann erfolgte die Ausbürgerung - sein Leben lang verbrachte der Schriftsteller damit, das System der Erniedrigung und des Terrors anzuklagen, dem nicht nur er im sowjetischen Russland ausgesetzt war. Mit den einhundertfünfzig Seiten dieses Buchs legte er ein Dokument vor, das mich beim Lesen extrem erschüttert hat. Zum einen deshalb, weil es wirklich so ein typischer Tag ist, der hier beschrieben wird. Kein großangelegter Ausbruchsplan, keine hoffnungsvollen Nachrichten über den Tod Stalins, kein gar nichts. Einfach nur dasselbe Spiel wie jeden Tag, das da lautet: Überleb bis morgen. Iwan Denissowitsch ist froh, dass er am Ende des Tages zwei Rationen Suppe bekommen hat, Brotreste klauen und verstecken konnte und immer noch seine warmen Stiefel hat. Was morgen kommt, weiß er nicht, er denkt auch nicht dran, sondern muss sich auf den heutigen Tag konzentrieren, und wer das nicht kann, der wird untergehen. In kleinen, oft nur angedeuteten Episoden beschreibt Solschenizyn, wie sich jeder einzelne Gefangene in diesem Lager einrichtet oder es auch nicht schafft und untergeht. Besonders diese kleinen Skizzen haben mich fasziniert und beschäftigen mich zum Teil immer noch. Was mich ebenfalls nachhaltig schockiert hat, war der Alltag, der hier beschrieben wird, und der effektiv darauf abzielt, möglichst wenig der Sträflinge über den Winter zu bringen. Zu wenig zu essen, so dass sich darum fast schon geprügelt wird, andererseits die Möglichkeit, sich Essen schicken zu lassen und dadurch Unfrieden und Streit zu provozieren, ein ausgeklügeltes Handelssystem, mit dem man sich durch das Lager schlägt, und vor allem - unendliche Zeit. Irgendwann bin ich drüber gestolpert, dass in der Geschichte erst eine Stunde vergangen ist, dass noch der ganze Tag vor einem liegt, und man jetzt schon nicht mehr kann, jetzt schon die erlösende Bettzeit herbeisehnt, um die Decke über den Kopf zu ziehen und dieses Elend nicht mehr mitansehen zu müssen. Das hat mich am meisten gequält bei diesem Buch, dass eigentlich nichts passiert, nichts passieren kann, sondern einen so hemmungslos furchtbaren Alltag so alltäglich schildert. Das ganze, ohne Mitleid einzufordern, ohne zu jammern, deshalb funktioniert es beim Leser auch. Wie kann man nicht zum dem Schluss kommen, das
Ich bin froh, mir mal wieder das Ziel gesetzt zu haben, mich an einen Literaturnobelpreisträger zu wagen, ich hätte sonst ein großartiges Buch verpasst,
Donnerstag, 24. April 2014
1 Kommentar:
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Das Buch werde ich mir merken. Deine Besprechung ist sehr informativ und vor allem schön geschrieben.
AntwortenLöschenLG