Der 13jährige Joel Knox soll nach dem Tod seiner Mutter bei seinem Vater in Alabama leben. Dass der seinen Sohn noch nie gesehen und bislang auch noch nie Interesse an ihm gezeigt hat, ist bereits irritierend für Joel. Dass ihn aber mitten im südstaatlichen Nirgendwo niemand abholt, ist mehr als irritierend. Und als er danne ndlich auf dem völlig zerfallenen Anwesen ankommt, muss er feststellen, dass sein Vater gar nicht da ist. Stattdessen erwarten ihn seine Steifmutter Amy, die geistig nicht mehr ganz auf der Höhe zu sein scheint, sein Cousin Randolph, der vor allem durch seine eklatanten Versuche auffällt, den dreizehnjährigen zu verführen. Die NAchbarstochter Idabel, die sich wie ein Junge benimmt, und die tiefreligiöse Hausangestellte Zoo komplettieren die absurd-verrückte Welt, in der Joel fortan versucht, das Phantom seines Vaters aufzuspüren.
Ich habe selten ein Buch gelesen, in dem Hintergrundwissen über den Autor so von Nutzen war wie bei diesem Buch. Truman Capote wuchs bis zu seinem achten Lebensjahr bei seinen Großeltern in Alabama auf, erst dann holte ihn seine Mutter, die bis dahin geheiratet hatte, zu sich nach New York. Zeitlebens war der unbekannte Vater eine Belastung für ihn (und vermutlich eine der Gemeinsamkeiten, die er mit dem von ihm portraitierten Mörder Dick Perry hatte), die gekoppelt war an seine relativ früh von ihms elbst entdeckte Homosexualität und den Wunsch, anders zu sein als das Leben um ihn herum. Insofern liest sich "Andere Stimmen, andere Räume" nicht nur wie das Debüt eines Exzentrikers, sondern eben auch wie eine Aufarbeitung all dessen, was den damals 24jährigen Capote seit seiner Kindheit nicht loslassen konnte.
Capote zu lesen ist immer eine Herausforderung. Meine Schwester hat es mal wenig subtil formuliert (nach der Lektüre von "Sommerdiebe"): "Ich fühl mich grad echt gehirngefickt." Ich glaube, das beschreibt es wirklich ganz gut. Einen Roman von Capote zu lesen, vielleicht mti Ausnahme von "Frühstück bei Tiffany", ist etwas, das man mehrfach machen muss. Beim resten Mal steigt das Hirn nämlich irgendwann aus und sagt "Schönen Dank auch, und jetzt bitte mit weniger Bildern und Andeutungen, sondern endlich mal in Klartext". Etwa beim dritten Lesen sagt es dann plötzlich "Ui, Herr Capote, Sie sprechen ja Klartext, nur muss man die Milchglasscheibe erstmal wegnehmen, die Sie davor aufgestellt haben". Soweit sollte man es tatsächlich kommen lassen und ihn nicht einfach weglegen. Ja, am anfang ist er sperrig. Aber irgendwie ist er wie die Südstaaten in einem verdammt heißen Sommer: man will ja gerne raus, so lange man drin ist, aber wenn man sie hinter sich gebracht hat, vermisst man sie total.
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