Verbrecher - das sind die, die im Gerichtssaal neben dem Rechtsanwalt sitzen. Verbrechen, dass ist das, was sie getan haben.
Diese simple Gleichung will Ferdinand von Schirach in seinen Kurzgeschichten aufbrechen und hinter die Fassade des Falles blicken. Dabei ist es keineswegs so - wie das Buch und die Tatsache, dass von Schirach selbst Rechtsanwalt ist und hier ein Rechtsanwalt als Ich-Erzähler auftritt, suggerieren - dass es hier Tatsachenberichte sind. Maximal inspiriert von der Realität sind diese Geschichten, in denen Menschen zu Tätern oder zu Opfern werden oder vielleicht gleichzeitig beides sind. Sei es die Geschichte des Arztes, der seine Frau einfach nicht verlassen kann; oder der sympathische Bankräuber, dem die Schöffen am Ende das Flugticket bezahlen; oder meine Lieblingsgeschichte von den neun libanisischen Brüdern, bei denen schon bald klar wird, dass Körperkraft immer von Cleverness geschlagen werden wird - sie alle hinterfragen immer auch die Vorstellungen unseres Rechtssystems, ohne aber wirklich eine Antwort zu liefern. Das ist am Anfang befremdlich, nichtsdestotrotz liest man weiter.
Das Buch ist schnell gelesen, regt hier und da zum Nachdenken an, aber
mir persönlich fehlt da etwas, um trotzdem einen Gewinn aus dem Buch
gezogen zu haben. Ich werde nicht warm mit dem Aufbau mancher
Geschichten. Mir fehlte der Zugang zu den philosophisch-rechtlichen Fragestellungen dahinter. Mein Juristen-Gatte dagegen ist total gefesselt von den Büchern. Ich habe trozdem weitergelesen.
Dieses Weiterlesen liegt in erster Linie an von Schirachs Erzählkunst. Knpe, klare Sätze ohne große Verzierungen zeichnen ihn aus. Die Dialoge sind lebendig und glaubwürdig, die Einmischungen des Ich-Erzählers dienen vor allem zur Erklärung und weniger dazu, den Anwalt in den Vordergrund zu stellen. Es geht um die Fälle an sich und darum, wie sich durch ein klein wenig mehr Beachtung der Frage nach dem "Warum" ganz andere Ergebnisse liefern. Warum bringt jemand nach dreißig Jahren Ehe seine Frau um? Die Antwort des Lesers kann am Ende lauten: "Ich frag mich eher, warum er dreißig Jahre dazu gebraucht hat."
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