Samstag, 21. Juni 2014

[Hörbuch] "Täuscher" gelesen von Julia Fischer

Landshut, 1922. Die 32 Jahre alte Klavierlehrerin Clara Ganslmeier und ihre 77jährige Mutter werden in der gemeinsamen Wohnung bestialisch ermordet. Vermutlich ein Raubmord, so glaubt die Polizei zunächst, wird dann aber durch Zeugenaussagen auf einen anderen Verdächtigen gelenkt. Hubert Täuscher, Mitte 20, Sohn eines Bürstenfabrikaten und der Verlobte der Ganslmeier, soll hinter den Morden stecken. Zuzutrauen ist es ihm - denn nicht nur, dass er die gutbürgerliche Verlobte ausnimmt wie eine Weihnachtsgans, er hat auch noch in München eine andere sitzen, jünger, hübscher, leider ärmer. Tatsächlich wird Täuscher festgenommen und in einem spektakulären Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Soweit hält sich  die Handlung an die tatsächlichen Gerichtsakten und Presseberichte, die von der Autorin Andrea Maria Schenkel akribisch aufbereitet und literarisch verarbeitet werden. Doch sie geht einen Schritt weiter und erzählt über diesen Handlungsrahmen hinaus - düsterer, als von ihr gewohnt, bis zu einem Ende, bei dem man sich fragt, wieso es Menschen gibt, die immer auf den Füßen landen.

Als Hörbuch fand ich "Täuscher" sehr nett, mehr aber auch nicht. Das lag an der Geschichte.
Diese ist ganz typisch für Andrea Maria Schenkel: viel Lokalkolorit, viel Dialekt und Umgangssprache, oftmals kein Erzähler, sondern eine Collage aus Vernehmungsprotokollen, Gerichtsakten, Presseberichten, kurzen Erzählpassagen. Das ist beim Lesen bereits anstrengend, aber beim Hörbuch eine echte Herausforderung. Nicht nur, dass man sich darauf konzentrieren muss, wer jetzt was sagt, zusätzlich ist die Geschichte auch noch nicht chronologisch erzählt. Da gibt es Zeitsprünge zuhauf, mit deren Hilfe alles auf das doch einigermaßen spannende Ende hin entwickelt wird, aber so richtig packen will einen das Buch dadurch nicht. Vor allem dienen die Sprünge dazu, die Figur von Täuscher immer weiter zu charakterisieren und die Frage nach seiner Schuld zu wecken. Während die übrigen Figuren in ziemlichen Klischeekisten verweilen, ist zumindest Hubert eine sehr widersprüchliche Person. Traumatisiert von seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg, ein Schöngeist, der nicht Vaters Fabrik übernehmen, sondern berühmt werden will. Einer, der nicht "nein" sagen kann, sondern mitgezogen wird von allem und dadurch in Situationen gerät, die er gar nicht haben wollte. Ein Meinungswechsler par excellence, ein arroganter Bengel - jeder sieht in ihm etwas anderes und nur das gesamte Buch bildet ihn vollständig ab.

Um dieser doch verwirrenden Erzählstruktur etwas entgegen zu setzen, muss man einen Sprecher haben, der zumindest sehr schnell beim Leser wachruft, wer denn da jetzt grade spricht. Julia Fischer gelingt das auch recht gut - ihr Stimmumfang ist nicht sooo facettenreich, aber zumindest schafft sie es, durch Betonungen und Lautstärke die Figuren unterscheidbar zu halten. Die Dialektpassagen klingen absolut authentisch, wodurch die Stärke des Hörbuchs betont wird, Lokalkolorit vor Augen zu führen. Mitunter sind mir aber die Erzählpassagen zu einförmig vorgetragen, so dass ich mich hier extrem konzentrieren musste. Für ein Hörbuch erwarte ich aber eindeutig mehr Vielfalt, die mich am Ball bleiben lässt. Die Tracks waren relativ lang gemessen am Umfang der Aufnahmen, zumindest aber in sich abgeschlossen, so dass es möglich war, die CD auch mal aus dem Auto mit in die Wohnung zu nehmen.

Fazit also: Hörbuch und Story okay, aber man muss sich nicht drauf stürzen und um jeden Preis haben.


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